Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)
einen kaputten Kühlschrank. Doch die Frage ist, wie eng die Grenzen gesteckt werden müssen. Das Sterbehemd so sorgsam und individuell auszuwählen wie das Brautkleid ist keine Frage der Pietät, sondern der Zuwendung, der aktiven Auseinandersetzung mit dem Toten als einzigartiger Person. Darauf hinzuweisen und Betroffene dazu zu ermutigen, wäre auch Aufgabe des Bestatters. In einer individualisierten, pluralisierten Gesellschaft müssen wir individuelles Sterben und Trauern ermöglichen und unterstützen.
Gefühle wie Liebe und Trauer sind sowohl individuell als auch in zeitlich veränderlichen, kulturellen Bezügen verankert – weshalb sie sich wandelnde »Rahmen«, Ausdrucksmöglichkeiten brauchen. Jeder Mensch hat seine eigenen Vorstellungen davon, wie er Abschied nehmen möchte. Dem muss die Gesellschaft Rechnung tragen und Wege finden, trauernde Angehörige bei der Bewältigung ihres Verlustes zu unterstützen. Oft existieren auch unrealistische Vorstellungen darüber, in welchem Zeitraum ein solcher Verlust verarbeitet werden kann. Seit man nach dem Verlust eines geliebten Menschen nicht mehr, wie es früher üblich war, Trauer trägt, ist auch das »Trauerjahr« aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verschwunden. Schon gar nicht ist es gesellschaftlich erlaubt, den Verlust eines Menschen viele Jahre lang zu beklagen.
Seit die Trauer um einen Verstorbenen nicht mehr von einer größeren Gemeinschaft getragen wird, seit sie nur noch Familienangelegenheit ist – sofern eine Familie vorhanden ist – ist sie ins Verborgene gedrängt. Mantrauertnichtmehröffentlich, sondernhinterverschlossenen Türen. Man kontrolliert seine Gefühle, notfalls mit Hilfe von Medikamenten. Trauer gilt als Krankheit, nicht mehr als natürlicher Prozess, der Menschen hilft, einen Verlust zu verarbeiten und sich in der neuen Lebenssituation zurechtzufinden. Damit schwindet auch das Wissen darüber, wie Trauernde empfinden, wie man sie unterstützen kann und wann man sie am besten in Ruhe lässt. Man überlässt es den Trauernden selbst, den Weg aus der Krise zu finden.
Selten wird bedacht, dass ein Todesfall in der Familie genau wie die Geburt eines Kindes einen Wendepunkt darstellt – eine unvermeidbare Krisensituation. Und Menschen in Krisensituationen brauchen Unterstützung. Die Aufgaben, die mit Sterben und Tod zusammenhängen, liegen in den Händen von Experten, die jeweils für einen Teilaspekt zuständig sind, die ihre jeweils eigene, professionell geprägte Perspektive haben. Ärzte und Pflegedienstmitarbeiter betreuen Kranke und Sterbende; der Bestatter kümmert sich um die Leiche – wer aber fühlt sich für die Trauernden zuständig? Wer heute den Verlust eines nahestehenden Menschen zu verkraften hat, kann nur hoffen, dass er an einen Arzt, Therapeuten oder Seelsorger gerät, der sich mit dem Thema Trauer näher befasst hat. Umgekehrt ist es für die professionellen Helfer oft schwer, die Hinterbliebenen zu erreichen. Wie tritt man an die Trauernden heran, wenn sie keinen Bezug zur Kirche haben, wenn sie es gewohnt sind, nur bei massiven körperlichen Beschwerden den Arzt aufzusuchen oder sich im Büro krank zu melden, und nie auf die Idee kämen, sich mit dem Verlust aktiv und individuell auseinanderzusetzen?
Da Bestattungsunternehmen die einzigen Instanzen sind, die sich zwingend und konkret mit dem Tod befassen müssen, sind sie oft die einzigen Ansprechpartner für die Hinterbliebenen. Aber Bestattungsunternehmer sind im Normalfall keine ausgebildeten Trauerbegleiter. Sie können gegebenenfalls einen Arzt oder Seelsorger empfehlen – aber grundsätzlich liegt der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit und Zuständigkeit nicht auf der Betreuung der Lebenden, sondern auf der Versorgung der Toten.
In der Beratung von Hinterbliebenen folgt die Branche bis heute festgelegten Standards, und der Wunsch nach individueller Gestaltung wird selten unterstützt. Das Totenhemd hat weiß zu sein, basta! Kaum einer käme auf die Idee, einer Witwe den Vorschlag zu machen: »Schauen Sie doch einmal in den Kleiderschrank Ihres Mannes und überlegen Sie, was ihm wichtig war, worin er sich wohlgefühlt hat.« Die Erfahrung zeigt, dass nur die wenigsten Bestatter auch nur daran denken, Beisetzung und Trauerfeier anders als im üblichen Rahmen auszurichten. Es herrscht die Tendenz, das Konventionelle zu fördern und das Ungewohnte abzulehnen. Ein Hinterbliebener, der sich für eine unpersönliche, standardisierte Bestattung entscheidet,
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