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Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)

Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)

Titel: Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Roth
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kann ziemlich sicher sein, dass er bei niemandem aneckt. Der Ermessensspielraum wird vor allem als finanzieller wahrgenommen: Wie teuer darf der Sarg sein, mit Messing beschlagen? Wie aufwändig soll der Blumenschmuck ausfallen, weiße oder zartrosa Lilien? Unkenntnis über das, was möglich ist und in der Trauer hilft, herrscht bei den Betroffenen genauso wie bei denen, die es eigentlich wissen müssten, den Bestattern – schließlich sind die meisten Bestattungshäuser in Deutschland Familienbetriebe, viele davon schon seit Generationen. Aber offenbar wurde von dem ehemals vorhandenen Wissen darüber, was Trauernde brauchen, nicht viel weitergegeben.
    Trauerrituale drücken in jeder Kultur die Verbundenheit zwischen den Lebenden und den Toten einer Gemeinschaft aus. Trauer setzt immer eine Beziehung voraus, mit allen ihren schlechten und guten Erfahrungen. Trauer lässt sich daher lesen als eine Fortsetzung der Liebe nach dem Tod, als Aufmerksamkeit und aktive Zuwendung. Wir können nur trauern, wenn wir eine Beziehung zum Verstorbenen gehabt haben. Wir können nur verlieren, was wir hatten. In der Liebe wären wir empört, wenn andere uns vorschreiben würden, wie wir zu lieben und unserer Liebe Ausdruck zu verleihen haben, was erlaubt ist und was nicht. Von solchen Zwängen haben wir uns glücklicherweise längst befreit, in Bezug auf die Trauer steht der Befreiungsschlag noch aus.
    In der Liebe wie in der Trauer hat jeder seine eigenen Ausdrucksformen. Dieses Selbst-Ausdrücken ist essenziell. Trauer ist wie Liebe eine tief bewegende Emotion. Sie bringt Menschen zum Innehalten, zu einer veränderten Perspektive. Trauer ist mehr als ein Gefühl, dem wir ausgeliefert sind, sie ist eine persönliche Aktivität, ein Handeln. Anders als Trauernde früher müssen sich Trauernde heute ihre eigenen Regeln vorgeben – und finden dafür kaum hilfreiche Vorbilder. Keine Gemeinschaft steht ihnen zur Seite, das heißt, sie müssen selbst herausfinden, wie sie ihre Gefühle leben wollen Diese Freiheit eröffnet viele Möglichkeiten, ist für viele Trauernde aber auch eine Überforderung. Der Tod eines nahen Menschen beeinflusst und verändert das Leben von Betroffenen. In ihrer Lebensgeschichte spielt der Tod eine Rolle, und das müssen auch diejenigen akzeptieren, die diese tiefgreifende Erfahrung noch nicht gemacht haben.

Abschied als Anfang einer neuen Verbundenheit
    Abschied nehmen ist ein aktiver Vorgang. Wir sollten niemanden dazu drängen, etwas Außergewöhnliches zu tun, aber wir sollten jeden dazu ermuntern, das zu tun, was ihm persönlich am besten entspricht. Dabei kann es durchaus hilfreich sein, auf vorhandene Rituale oder Angebote zurückzugreifen; es müssen aber auch Freiräume geschaffen werden, eigene Rituale zu entwickeln. Auch wenn sich der Sinn der Handlungen für andere vielleicht verschließt, gilt wie in der Liebe: Je persönlicher der Ausdruck ist, desto befreiender und belebender ist die Wirkung.
    Solche Rituale müssen nicht spektakulär sein. Zentrales Element im Umgang mit Tod und Sterben ist das Abschiednehmen. Wie im Alltag der Gruß am Anfang der Begegnungen steht, so steht der letzte Abschied von einem Verstorbenen am Anfang eines Prozesses, in dem die Hinterbliebenen die Erfahrung machen, dass der Tod nicht das Ende, sondern eine Veränderung der Verbundenheit mit dem Toten ist. Ob Mutter oder Ehemann, Kind oder Freund, sie alle bleiben Teil seiner Lebensgeschichte. Im Abschiednehmen ziehen Hinterbliebene Bilanz: Was haben wir gemeinsam erlebt? Was war wertvoll in unserer Beziehung, was war schwer erträglich? Die Antworten darauf helfen, einen Schlusspunkt zu setzen. Alle Gefühle, auch die widersprüchlichen, gehören in diese erste Phase der Trauer. Abschied nehmen heißt auch, seinen Frieden mit dem Toten zu machen.
    Das Berühren der Leiche ermöglicht es uns, den Unterschied zwischen tot und lebendig zu begreifen – die Tatsache des Todes zu ertasten. Dazu kann auch das Ankleiden der Toten gehören. Es zeugt von tiefem Respekt, den Leichnam in ein Behältnis zu legen, das selbst gebaut oder gestaltet wurde. Zu einem persönlichen Abschied können auch Sargbeigaben gehören – Symbole, Gegenstände, Bilder, Briefe und andere individuelle Zeugnisse des gelebten Lebens oder der Beziehung. Ein Bild oder ein Brief spiegelt eine sehr persönliche Form von Verbundenheit. Darin kann alles ausgedrückt werden, was es noch zu sagen gibt, was vielleicht unausgesprochen geblieben ist. Was hat

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