Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)
ein Mensch Bleibendes im Leben der anderen hinterlassen? Was hat sein Tod dem Leben derer, die weiterleben, hinzugefügt?
Den Sargdeckel selbst zu schließen, den Sarg oder die Urne selbst der Erde zu übergeben – all das sind Zeichen eines bewussten Abschiednehmens am Ende eines Lebensweges. Solche Rituale sind in vielen Varianten denkbar.
Viele Angehörige erleben nach Eintritt des Todes eine Phase der Sprachlosigkeit und Fassungslosigkeit. Gerade in dieser Situation kann es hilfreich sein, sich an der Versorgung des Leichnams aktiv zu beteiligen. Das gibt Betroffenen die Möglichkeit, sich eine konkrete und bildhafte Vorstellung vom Sterben und vom Tod zu machen und das Geschehen damit besser zu begreifen. Menschen, die in der Sterbebegleitung arbeiten, und erste fortschrittlich handelnde Bestattungsunternehmen legen deshalb großen Wert darauf, den Angehörigen viel Zeit sowohl mit den Sterbenden als auch mit den Gestorbenen einzuräumen.
In der Art, wie wir persönlich Abschied nehmen, spiegelt sich die Wertschätzung für den Verstorbenen – vergleichbar der Art, in der wir unsere Liebe zum Ausdruck bringen. Wir halten es für selbstverständlich, eine Hochzeit mindestens ein Jahr im Voraus zu planen, bis ins Detail vom Tischschmuck bis zur Musikauswahl. Wir geben viel Geld aus, um einen »unvergesslichen Tag« zu erleben. Zu Recht. Selbst wenn die Ehe – wie jede zweite inzwischen – nicht bis ans Lebensende hält, bleibt die Erinnerung an ein besonderes Fest, das wir so gefeiert haben, wie es der Bedeutung entspricht. Warum denken wir nicht ähnlich beim Abschied, dem »Abschlussball« des Lebens, der letzten gemeinsamen Feier mit einem Menschen, der uns im Leben so viel bedeutet hat? Wahrscheinlich, weil wir so unvertraut mit Tod und Sterben geworden sind, dass wir jede Abweichung vom Weg scheuen.
Alle persönlichen Rituale beim Abschiednehmen sind wichtig und hilfreich, denn sie setzen Zeichen in der sichtbaren Welt. Vielleicht sind sie deshalb vielen Trauernden peinlich, denn es wird ja von ihnen erwartet, dass sie ihre Trauer nicht allzu öffentlich zeigen. Aber die Menschen, die gestorben sind, brauchen einen neuen Platz – nicht nur im Innern der Trauernden, sondern auch ihrem sichtbaren Alltag
Geteilte Erinnerungen
Viele Trauernde, die eine Partnerin oder einen Partner verloren haben, beginnen im Lauf des ersten Jahres, ihre Wohnung gründlich zu renovieren und sich im wahrsten Sinne des Wortes »neu einzurichten«. Sie genießen es, sich nur nach ihren eigenen Wünschen richten zu können, Entscheidungen zu treffen, die die oder der Tote nicht gebilligt hätte, und vielleicht zum ersten Mal im Leben ihre Umgebung ganz nach dem eigenen Geschmack zu gestalten. Andere wiederum lassen alles so, wie es war, und dringen nur ganz behutsam in diesen Raum ein. Es kommt ihnen vor wie ein Sakrileg, die Dinge zu verändern; sie versuchen, das Andenken des Toten zu bewahren, indem sie an den Dingen, die ihn im Leben umgeben haben, nichts verändern. Was Trauernde von den Verstorbenen in ihre Zukunft mitnehmen und neu in ihr Leben einbetten, sind vor allem Erinnerungen und innere Bedeutungen. Aber auch Dinge können zum Ersatz für einen verstorbenen Menschen werden. So bewahren manche die letzten Kleidungsstücke auf, die dieser getragen hat.
»Es gibt keine Minute, in der ich nicht an ihn denke.« Oder: »Sie ist immer bei mir.« Sätze wie diese hört man von vielen Trauernden im ersten Jahr. Diese Erinnerungen helfen den Betroffenen, die Wirklichkeit anzunehmen. Der britische Soziologe Tony Walter hat 1996 einen Artikel über die Bedeutung des Gesprächs über die Verstorbenen veröffentlicht, in dem er die Konstruktion einer tragbaren und für viele akzeptablen Geschichte als eigentliches Ziel des Trauerprozesses beschreibt. Diese Geschichte, in der Erinnerungen gebündelt und interpretiert sind, gibt den Toten einen neuen und stabilen Platz im Weiterleben der Menschen, die sich an sie erinnern. Für Walter kann diese Geschichte nur im Austausch mit möglichst vielen anderen konstruiert werden, die diesen Menschen ebenfalls gekannt haben; sie sind der »Wirklichkeitstest« für die Erinnerungen. Walter beschreibt, wie nach dem Tod seiner besten Freundin die Gespräche mit ihren Freunden und Freundinnen sein grundsätzliches Bild von dieser Frau bestätigt haben, wie er aber auch neue Dinge erfahren hat, die ihm halfen, sie rückblickend besser zu verstehen.
Walters Ansatz kann man fast schon als
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