Das letzte Hemd
hatte er schon länger
gefunden: »Matthias Strüssendorf war das seltene Beispiel eines Politikers, der
zu seinen Fehlern stand …« Er überlegte einen Moment, ob er den Satz vielleicht
in »seinen vielen Fehlern« abändern sollte, ließ es
dann aber. Es würde noch genug Gelegenheit geben, sich von der Arbeit des
Vorgängers zu distanzieren.
***
Max Rosenmair war gerade im Auto unterwegs, als er im Radio vom
Tod des Politikers hörte. Nachdenklich fuhr er weiter. Er wusste nicht, was das
für seine Tochter, seinen Schwiegersohn und die weiteren Pläne der beiden
bedeuten würde. Für Philipp Lindner war diese tragische Wendung der Geschichte
ja fast ein Segen, so makaber das klang. Rosenmair war da ganz realistisch und
schätzte seinen neuen Schwiegersohn auch so ein: als berechnend, karrieregeil,
eiskalt und skrupellos. Interessanterweise hatte Philipp seinen gerade
verstorbenen früheren Fraktionsvorsitzenden vor nicht allzu langer Zeit mit
genau denselben Worten beschrieben und ihn außerdem als aalglatt bezeichnet.
Und auch wenn Rosenmair bei Philipp vielleicht nicht so weit gehen würde, war
der auf jeden Fall auf dem besten Weg dahin, sich auch dieses Attribut zu
verdienen.
Rosenmair hatte sich gerade mit Frau Kolbich getroffen, die ihm
diverse Unterlagen ihres Mannes übergeben hatte, damit der Richter sie sich
genauer ansah. Gemeinsam waren sie außerdem die Formulierung einiger Briefe
durchgegangen, die Rosenmair für sie entworfen hatte.
Auf halbem Weg zurück hatte er sich spontan entschieden, J.P. zu besuchen, da diese trockene Lektüre bei einem
exzellenten Kaffee sicher leichter zu ertragen war. Außerdem hoffte er auf
einen kleinen Imbiss, der in der »Pulvermühle« immer zu erwarten war,
vielleicht sogar J.P. ’s legendäres Ratatouille?
Unmerklich gab er ein bisschen mehr Gas. Außerdem interessierte es ihn, wie es
mit J.P. ’s Restauranttester- und Sternegeschichte
weitergegangen war.
Wovor es ihm allerdings graute, waren die Unterlagen der
Versicherung. Das hatte er schon als Richter gehasst, wenn Sachverständige
ellenlange Gutachten oder stinklangweilige Schriftsätze angeschleppt und mit
einem süffisanten Lächeln präsentiert hatten. Auch waren manchmal Regalmeter
von Aktenordnern auf Rollwagen und Ähnlichem in den Gerichtssaal getrullert
worden. Rosenmair hatte eigentlich immer darauf gewartet, dass es irgendwann
hupen und ein Gabelstapler mit einer Europalette Aktenordner vor der Tür des
Gerichtssaals stehen würde. Die trockenen Vorträge der Versicherungsfachleute
hatte Rosenmair jedenfalls meist mit einem »Und was heißt das auf Deutsch?«
oder »Können Sie das auch für ganz Doofe übersetzen?« abgekürzt.
Und jetzt musste er sich selbst durch solche Korrespondenz kämpfen.
An der Ampel warf er einen Blick auf die dicke Mappe, die neben ihm auf dem
Beifahrersitz lag. »Capitol Versicherungen« stand in großen blauen Lettern
darauf. »Bezugnehmend auf Ihren Antrag vom …«, begann das Schreiben eines
gewissen Nübel, irgendein hohes Tier der Versicherung. Rosenmair stöhnte,
hinter ihm hupte es. Er hob kurz die Hand, klappte die Mappe wieder zu und fuhr
weiter. Er würde Larry einschalten müssen, immerhin arbeitete der ja jetzt als
Versicherungsdetektiv. Vielleicht könnte Larry ja auch mit Stöffel reden? Nein,
diese Idee verwarf Rosenmair gleich wieder – das würde er selber machen müssen,
so beschränkt und bescheuert er Stöffel auch fand. Eine von Beckers Bemerkungen
kam ihm wieder in den Sinn. Dass auch Stöffel bereit wäre, sich um den Hund zu
kümmern, hatte er gesagt. Stöffel war also Hundefreund. Das hätte er ihm gar
nicht zugetraut.
***
»Soll ich meinen Wagen nachher gleich in der Nähe parken?
Ich meine, nur für den Fall …« Der Fahrer des Abschleppwagens grinste Becker
an. Es war derselbe Typ, der schon gestern den ausgebrannten Wagen aus der
Straße geholt und zur Polizei gefahren hatte. Jetzt stand er vor dem Audi A6
und schien fast ein bisschen enttäuscht, dass dieser Wagen nicht auch
ausgebrannt war. Becker ließ ihn stehen und ging um den Audi herum. Bis auf all
die Zettel, die unter den Wischerblättern klemmten, war nichts Auffälliges zu
erkennen. Außer natürlich, dass der Wagen extrem ungeschickt geparkt war.
Becker warf einen Blick auf die Reifen, dann in die Radkästen. An allen vier
Rädern war schwarzes, angekokeltes Gummi zu erkennen. Becker sah auf den Boden,
dann in den Rinnstein und auf die schmale Rasenfläche, die
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