Das letzte Hemd
mehr
als eine Besenkammer war, wenn auch mit Fenster. Hier machte J.P. nicht nur seine Menü- und Einkaufsplanung, sondern
auch seine Buchhaltung. Larry, der Catherine und J.P. bei der Neueinrichtung ihres WLAN -Netzes geholfen
hatte, hatte dem Raum spontan die Bezeichnung » CC «
für »Chaos Central« verliehen. Catherine ersetzte je nach Laune das erste oder
zweite Wort durch ihren eigenen Vornamen, wann immer sie den Raum als
Rückzugsrefugium nutzte.
Die Frontwand beherrschte ein Riesenposter der Basilique Notre-Dame
de Montréal in dunklen, kräftigen Blau- und Goldtönen, daneben hing ein
gerahmter Zeitungsartikel über den sizilianischen Koch Fulvio Pierangelini, der
so etwas wie J.P. ’s Vorbild und heimlicher Held
war. Darunter war mit Stecknadeln ein weiterer Zeitungsausschnitt befestigt,
eine offensichtliche Lobeshymne auf das dänische Restaurant »Noma« in
Kopenhagen, das von Gastrokritikern zum aktuell besten Restaurant der Welt gewählt
worden war. Das Foto zeigte einen etwas unsicher dreinschauenden, sympathischen
jungen Mann vor gewaltigen, unbehandelten Holzbalken. J.P. hatte den Namen des Kochs, René Redzepi, und einige Textpassagen farbig
markiert. Im Regal daneben stapelten sich keine Kochbücher, sondern Biografien
von Köchen wie Anthony Bourdain und Gordon Ramsay oder dem einstigen
Journalisten Bill Buford. Mit Bourdain hatte J.P. vor Urzeiten mal gearbeitet, was, wie er in weinseliger Stimmung angedeutet
hatte, nicht ganz problemlos abgelaufen war. Alles schon lange her, wie J.P. abgewiegelt hatte, trotzdem schmückten eine mit
Filzstift gemalte Augenklappe und Hasenzähne Bourdains Foto auf dem Buch, was
ihm nebenbei gar nicht schlecht stand.
Rosenmair setzte sich an den in die hinterste Ecke gerammten Rechner
und begann seine Internetrecherche. J.P. hatte
gar nicht falschgelegen, es hatte in Österreich mal eine große »Erste
Allgemeine Versicherung« genannte Versicherungsgesellschaft gegeben, die später
von einer Spaßmusikband namens »Erste Allgemeine Verunsicherung« hochgenommen
worden war. Die Versicherung gab es allerdings schon lange nicht mehr, die Band
schon, aber Rosenmair konnte sich kaum vorstellen, dass eine abgehalfterte
Popkapelle Aufträge für Schweißarbeiten am Niederrhein vergab.
Tatsächlich wurde er dann aber doch noch fündig: Auf der Homepage
der »Emil Adolf Vahrenhorst GmbH« war zwar kaum etwas über die Firma zu
erfahren, die im weitesten Sinne mit Lagerhallen und deren Umbau zu tun zu
haben schien, aber in mehreren Zeitungsberichten zu einem furchtbaren
Feuerunglück, das sich 1996 am Flughafen Düsseldorf ereignet hatte, tauchte der
Firmenname auf, und das nicht im besten Licht. Bei Schweißarbeiten waren
Styroporteile in einer Zwischendecke in Brand geraten. Nach einem Schwelbrand
hatte das Feuer sich rasend schnell ausgebreitet, und schließlich war es zu
einer enormen Explosion gekommen.
Rosenmair druckte die Artikel aus. Das kam ihm alles sehr bekannt
vor. Er würde mit Frau Kolbich reden müssen, vielleicht erinnerte die sich ja
noch an diese Geschichte vor fast fünfzehn Jahren.
***
Larry hätte sich an die Firma erinnert, er gehörte nämlich
damals zu den Leidtragenden, zumindest indirekt, da er einen Urlaubsflug hatte
verschieben müssen. Aber das war lange her, und jetzt war an Urlaub nicht zu
denken.
Er hatte einen Auftrag, genau genommen führte ihn sein Auftraggeber
gerade durch den nicht eben kleinen Garten rund um sein hochherrschaftliches
Anwesen. Hier sollte Larry ein Sicherheitskonzept entwickeln und später auch
umsetzen. Den Hausbesitzer schätzte er schon jetzt so ein wie viele gut
Betuchte, deren Häuser er mit Alarmanlagen versehen hatte: Zuerst wollten sie
immer das Sicherste, Beste, Modernste, was der Markt momentan zu bieten hatte.
Wenn sie dann den Preis hörten, reichten meist Sicherheitsriegel an der
Eingangstür und Kameraattrappen an der Fassade. Auch da hatte sich inzwischen
einiges getan, mittlerweile gab es sogar unechte Kameras, die motorgetrieben
mitschwenkten, dazu computergesteuerte Lampen, die das Flackern eines
Flachbild-Fernsehers täuschend echt imitierten. Manchmal dachte Larry, es wäre
einfacher, die Leute würden sich einen Studenten als Housesitter engagieren,
wenn sie nicht da waren, das wäre außerdem billiger.
Aber das sagte er natürlich nicht, sondern schrieb die Wünsche des
Hausherrn bedächtig nickend auf. Den Job hatte Calzone ihm vermittelt, der nach
seinem Versprechen bei griechischem
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