Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
Vom Netzwerk:
Drachenschiffen wie aus heiterem Himmel aufkreuzten, aber so war es selten. Die Wikinger griffen wohl einmal unerwartet an, doch ihre großen Kriegsflotten nahmen immer gezielt Kurs auf solche Orte, in denen es, wie sie genau wussten, Streit und Hader gab. Sie suchten eine offene Wunde und setzten sich wie Maden darin fest.
    Mein Vater führte mich und zwei Dutzend seiner Männer - allesamt beritten und mit Kettenhemden oder Leder gepanzert - nahe an die Stadt heran. Wir konnten den Feind auf dem Ringwall sehen. Einige Abschnitte der Befestigungsanlage waren aus Stein gemauert und stammten noch aus der Römerzeit, der größte Teil aber bestand aus einem Erdwall und hohen Palisaden. Im Osten der Stadt gab es allerdings eine Stelle, an der die Palisaden fehlten. Sie schienen abgebrannt zu sein, denn wir konnten verkohlte Stümpfe auf dem Erdwall erkennen, in den frische Pfähle für den Neubau der Verschanzung eingerammt waren.
    Hinter diesen Pfählen waren zahllose Strohdächer zu sehen sowie die hölzernen Glockentürme dreier Kirchen und, auf dem Fluss, die Masten der dänischen Flotte. Unsere Kundschafter hatten insgesamt vierunddreißig Schiffe gezählt, was darauf schließen ließ, dass die Streitkraft der Dänen rund tausend Mann stark war. Unser Heer war größer, es bestand aus ungefähr fünfzehnhundert Kämpfern, doch eine genaue Zahl ließ sich nicht errechnen. Es schien keinen Oberbefehl zu geben. Die beiden Anführer Osbert und A Ella hatten offiziell zwar Frieden geschlossen, lehnten es jedoch ab, miteinander zu sprechen, und tauschten sich nur über Vermittler aus. Mein Vater, der drittmächtigste Mann des Heeres, stand mit beiden in Kontakt, konnte sie aber nicht von einer Zusammenkunft überzeugen, geschweige denn davon, einen gemeinsamen Kriegsplan zu entwerfen. Osbert wollte die Stadt belagern und die Dänen aushungern, während A Ella auf einen sofortigen Angriff drängte. Es sei ein Leichtes, so sagte er, durch die Lücke im Wall tief in die Stadt einzudringen und die Dänen in den engen Gassen zur Strecke zu bringen. Welchen Plan mein Vater im Sinn hatte, weiß ich nicht, denn er äußerte sich nicht, und am Ende wurde uns die Entscheidung abgenommen.
    Unser Heer konnte nicht warten. Als unsere Lebensmittel aufgebraucht waren, zogen einige Männer los, um für Nachschub zu sorgen, und manche dieser Männer kehrten nicht zurück. Sie gingen einfach heimlich nach Hause. Andere sorgten sich um ihre Höfe und fürchteten eine Hungersnot, wenn sie nicht bald wieder ihre Felder bestellen könnten. Eine Versammlung der wichtigsten Männer wurde einberufen, und sie stritten einen ganzen Tag lang miteinander. Osbert nahm an diesem Treffen teil, was bedeutete, dass ihm A Ella fernblieb. Allerdings vertrat ihn einer seiner Anhänger, der andeutete, dass Osbert aus Feigheit nicht angreifen wolle. Vielleicht hatte er Recht, denn Osbert ging auf den Vorwurf nicht ein und schlug stattdessen vor, eigene Festungen vor der Stadt zu errichten. Er sagte, mit drei oder vier solcher Festungen, bemannt mit unseren besten Kämpfern, habe man die Dänen im Griff; die Übrigen könnten zurückkehren und sich um ihre Felder kümmern. Ein anderer machte den Vorschlag, eine zweite Brücke über den Fluss zu schlagen, sodass die dänische Flotte in der Falle säße. Er begründete seinen Plan weitschweifig, obwohl, wie ich glaube, jeder wusste, dass wir für den Bau einer Brücke über einen so breiten Fluss nicht genug Zeit hatten. «Außerdem», sagte König Osbert, «wollen wir doch, dass die Dänen mitsamt ihren Schiffen verschwinden. Sie sollen weg von hier und andere belästigen.» Ein Bischof plädierte für mehr Geduld und sagte, dass Aldermann Egbert, der Herr über das Land im Süden von Eoferwic, noch erwartet und mit seinen Männern das Heer verstärken werde.
    «Auch Riesig ist noch nicht hier», sagte ein Priester, auf einen anderen großen Ratsherrn verweisend.
    «Der ist krank», erklärte Osbert.
    «Krank an Mut», höhnte A Ella Sprecher.
    «Lasst ihnen Zeit», empfahl der Bischof. «Zusammen mit Egberts und Ricsigs Männern schüchtern wir die Dänen allein durch unsere Übermacht ein.»
    Mein Vater sagte in dieser Runde nichts, obwohl deutlich war, dass man seine Meinung hören wollte. Sein Schweigen erstaunte mich, wurde mir aber noch am selben Abend von Beocca erklärt. «Wenn er sich für einen Angriff ausgesprochen hätte, wären alle davon überzeugt gewesen, dass er auf A Ella Seite steht - oder

Weitere Kostenlose Bücher