Das letzte Koenigreich
Haus!» Ich rannte los. Das Schwert, das er mir nachschleuderte, verfehlte mich um Haaresbreite. Ich stürzte durch die Tür, hastete über den von Fischen gezogenen Streitwagen, rannte von einem Raum in den nächsten und sah dann ein offenes Fenster, durch das ich nach draußen hechtete. Brida sprang vom Dach, und gemeinsam flohen wir in den nahe gelegenen Wald.
Weland setzte uns nach, gab aber die Verfolgung auf, als wir zwischen den Bäumen verschwunden waren. Stattdessen floh er nun selbst Richtung Süden, weil er wusste, was ihn von Ragnar erwartete. Aus irgendeinem Grund brach ich, als ich zu Ragnar zurückgekehrt war, in Tränen aus. Warum weinte ich? Ich weiß es nicht. Vielleicht aus Enttäuschung über den Verlust von Bebbanburg, meiner geliebten Zuflucht, die jetzt von einem Feind gehalten wurde, einem Feind, der inzwischen vermutlich einen Sohn bekommen hatte.
Brida erhielt einen Armreif, und Ragnar ließ alle wissen, dass er jeden Mann, der sie zu berühren wagte, eigenhändig mit dem Schlachtmesser kastrieren würde.
Und am nächsten Tag kam der Feind.
Mir fiel wieder die Aufgabe zu, dem blinden Ravn zu schildern, wie sich das Heer der Ostangeln auf einer lang gezogenen Anhöhe im Süden vor unserem Lager sammelte. «Wie viele Banner?», fragte er mich.
Ich zählte. «Dreiundzwanzig.»
«Was ist darauf zu erkennen?»
«Auf den meisten sind Kreuze», antwortete ich. «Aber auf einigen sind auch Heiligenbilder zu sehen.»
«Ein sehr frommer Mann, dieser König Edmund», sagte Ravn. «Er hat sogar mich zum Christentum zu bekehren versucht.» Die Erinnerung daran brachte den Alten zum Kichern. Wir saßen im Bug eines der an Land gezogenen Schiffe, Ravn auf einem Hocker, Brida und ich zu seinen Füßen. Die mercischen Zwillingsbrüder Ceolnoth und Ceolberht hockten auf der anderen Seite. Sie waren die Söhne von Bischof A Ethelbrid von Snotengaham und wurden als Geiseln gefangen gehalten, obwohl ihr Vater das dänische Herr willkommen geheißen hatte. Ravn aber meinte, dass der Ehrlichkeit des Mannes durch die Geiselnahme seiner Kinder nachzuhelfen sei. Wir hatten Dutzende weiterer Gefangener aus Mercien und Northumbrien, sämtliche Söhne vornehmer Herren, und ihnen allen drohte der Tod, falls ihre Väter Schwierigkeiten machten. In unserem Heer kämpften auch Engländer, die nur an ihrer Sprache von den Dänen zu unterscheiden waren. Es waren vor allem Ausgestoßene oder Männer ohne Herren, die sich mit wildem Einsatz schlugen. Solche Soldaten hätte die englische Seite dringend gebraucht, um uns die Stirn zu bieten, doch sie kämpften nun für die Dänen gegen König Edmund. «Und ein ausgemachter Narr ist er noch dazu», höhnte Ravn. «Ein Narr?», fragte ich.
«Er hat uns im Winter, bevor wir über Eoferwic hergefallen sind, Unterschlupf gewährt und uns das Versprechen abverlangt, keine Kirchenmänner zu töten.» Er lachte leise vor sich hin. «Was für eine kindische Forderung! Wenn ihr Gott irgendetwas taugte, hätten wir ohnehin keinen von ihnen töten können.»
«Warum hat er Euch Unterschlupf gewährt?»
«Weil er glaubte, uns so besser kontrollieren zu können», antwortete Ravn. Er sprach Englisch, damit ihn auch die anderen verstehen konnten. «Töricht, wie er ist, hat er wahrscheinlich damit gerechnet, dass wir im Frühjahr wieder abziehen und für immer verschwinden würden. Aber jetzt sind wir hier.»
«Das hätte er nicht tun sollen», sagte einer der Zwillinge, die ich nicht auseinander halten konnte. Sie störten mich mit ihrer glühenden Liebe zu Mercien und warfen mir mit ihren zehn Jahren ständig vor, dass ich die Dänen vorzog, obwohl sich ihr eigener Vater auf die dänische Seite geschlagen hatte.
«Das war allerdings ein Fehler», stimmte Ravn zu.
«Er hätte Euch angreifen sollen», sagte Ceolnoth oder Ceolberht.
«Wenn er das getan hätte, wäre er geschlagen worden», entgegnete Ravn. «Wir haben ein Lager und einen Wall errichtet und uns dahinter verschanzt. Er hat uns Geld gezahlt, damit wir stillhalten.»
«Ich habe König Edmund einmal gesehen», sagte Brida.
«Wo war das?», wollte Ravn wissen.
«Im Kloster. Er ist gekommen, um zu beten, und hat, als er sich niederkniete, einen Furz losgelassen.»
«Darüber hat sich sein Gott bestimmt gefreut», lachte Ravn, zog aber dann die Stirn in Falten, als die Zwillinge zu furzen anfingen.
«Waren die Römer Christen?», stellte ich die Frage, die mir auf dem römischen Anwesen in den Sinn gekommen
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