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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Wildschweinjagd gelernt hatte. Ich machte einen Schritt nach links, wartete, bis er den Spieß auf mich richtete, und, wieder nach rechts springend, stieß ich zu.
    Es war kein sauberer Stoß, noch hatte ich die Kraft, der Wucht seines Angriffs standzuhalten, und so riss es mich rücklings zu Boden. Von der Lanzenspitze durchbohrt, stürzte er, halb röchelnd, halb fauchend, über mich, wurde aber vom Schaft der Lanze zur Seite abgelenkt. Er versuchte, mich am Hals zu packen und zu erdrosseln, doch ich wand mich unter ihm weg, ergriff seinen Aalspieß und rammte ihm den Dreizack in die Kehle. Blut strömte auf die Erde und spritzte in die Luft, während er sich zuckend und würgend am Boden wälzte und Blutblasen aus seiner zerfetzten Kehle stiegen. Ich versuchte, den Spieß aus der Wunde zu zerren, doch die Widerhaken blieben in seinem Schlund stecken, und so zog ich die Lanze aus seinem Bauch und zielte auf seine Brust, damit er endlich zu zucken aufhörte. Doch die Spitze prallte von seinen Rippen ab. Er gab so schreckliche Geräusche von sich, dass ich in Panik geriet, und ich bemerkte nicht, dass sich Ragnar und seine Männer vor Lachen bogen, während sie meinen Versuchen zusahen, diesen Mann zu töten. Am Ende gelang es mir, aber vielleicht war er auch verblutet, bevor ich ihm den Todesstoß versetzen konnte, und als es endlich um ihn geschehen war, sah er aus, als wäre ein Rudel Wölfe über ihn hergefallen.
    Ich bekam meinen dritten Armreif. Manche der erfahrenen Kämpfer in Ragnars Truppe besaßen ebenfalls nur drei. Rorik war eifersüchtig, aber sein Vater tröstete ihn damit, dass er ja jünger sei und seine Zeit bestimmt noch kommen werde. «Wie hat's sich angefühlt?», fragte mich Ragnar.
    «Gut», antwortete ich, und, weiß Gott, so war es.
    An diesem Tag sah ich Brida zum ersten Mal. Sie hatte schwarzes Haar und große schwarze Augen, war so alt wie ich und spindeldürr, aber temperamentvoller als ein Falke im Frühling. Sie gehörte zu den gefangenen Frauen, und als Ragnars Männer damit anfingen, sie untereinander aufzuteilen, wurde das Mädchen von einer älteren Frau wie ein Geschenk an die Dänen nach vorn gestoßen. Brida schnappte sich einen Knüppel und schlug wütend auf die Frau ein, beschimpfte sie als räudige Hündin und vertrocknete Rotzfahne und trieb sie vor sich her, bis die ältere Frau in einen Graben voller Brennnesseln stürzte, wo Brida sie weiter mit dem Knüppel traktierte. Ragnar lachte, weil er Kämpfernaturen liebte, packte das Mädchen aber schließlich und gab sie mir. «Pass auf sie auf», sagte er, «und vergiss nicht, das letzte Haus niederzubrennen.»
    Ich gehorchte.
    Und ich lernte noch etwas.
    Ziehe dir deine Mörder jung heran, bevor ihr Gewissen reift. Je jünger sie sind, desto tödlicher sind sie.
    Wir schafften unsere Beute auf die Schiffe, und als ich an diesem Abend mein Ale trank, fühlte ich mich voll und ganz den Dänen zugehörig. Ich war Däne und hatte bei ihnen eine perfekte Kindheit erlebt, perfekt jedenfalls nach den Vorstellungen eines Jungen. Ich war unter Männern aufgewachsen, frei und ungehindert, verschont von Priestern, ermutigt zur Gewalt und fast nie allein.
    Und eben dies, nämlich dass ich selten allein war, hielt mich am Leben.
    Jeder Raubzug brachte uns weitere Pferde ein, was zur Folge hatte, dass immer mehr Männer noch tiefer ins Landesinnere vordringen konnten, um Ortschaften zu verwüsten, Silber zu stehlen und Gefangene zu machen. Späher waren ausgeschickt worden, die erkunden sollten, wo sich König Edmunds Truppen befanden. Edmund herrschte über Ostanglien, und wenn er nicht so schmählich kapitulieren wollte wie Burghred von Mercien, sondern sein Königreich verteidigen wollte, musste er seine Soldaten gegen uns aufmarschieren lassen. Also beobachteten wir die Heerstraßen und warteten.
    Brida blieb ständig in meiner Nähe. Ragnar hatte sie ins Herz geschlossen, denn sie trotzte ihm und bewies Stolz. Als Waise hatte sie im Haus ihrer Tante gelebt, jener Frau, die sie geschlagen hatte und die sie hasste. Es dauerte nicht lange, und Brida war bei den Dänen glücklicher als je in ihrem eigenen Volk. Als Magd hatte sie im Lager zu arbeiten, doch eines Morgens, als wir zu einem weiteren Raubzug aufbrachen, rannte sie uns nach und schwang sich zu mir aufs Pferd, was Ragnar so beeindruckte, dass er sie mitkommen ließ.
    Wir ritten an diesem Tag weit nach Süden, durch ein flaches Sumpfgebiet einer bewaldeten Hügellandschaft

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