Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Polizisten in die Tür traten, begriff Daniel, warum es so lange gedauert hatte. Endlich tauchte der Antiquar wieder auf und gab einem der Polizisten die Bücher.
»Es muß ja wohl Grenzen geben«, sagte er beleidigt, als Daniel zu dem wartenden Streifenwagen geführt wurde. »So leicht lasse ich mich nicht an der Nase herumführen.«
53
»Da bist du!«
Annmari Skar saß allein in der Kantine. Ein Weihnachtsbaum, der auch aus dem Vorjahr hätte stammen können, lehnte sich traurig über den Stuhl auf der anderen Seite des Tisches. Irgendwer hatte sich damit amüsiert, die oberen Zierkörbchen mit Kondomen zu füllen. Andere hatten sich die Mühe gemacht, mit Tipp-Ex Gesichter auf die roten Kugeln zu malen; eine hatte eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Polizeipräsidenten.
»Ich habe dich schon überall gesucht!« Silje Sørensen wischte Tannennadeln vom Stuhl und ließ sich der Polizeijuristin gegenüber nieder. »Du hast ja keine Ahnung, was ich zu erzählen habe. Ich finde Billy T. nicht, aber die Sache ist so wichtig, daß …«
»Nicht noch eine«, seufzte Annmari Skar verzweifelt.
»Noch eine?«
»Vergiß es. Bis auf weiteres. Was ist los?« Sie wischte sich den Mund, schob die Reste des unappetitlichen Omelettes beiseite, beugte sich über ihre Tasse und schnitt eine Grimasse. »Dieser Kaffee ist schlimm genug, wenn er frisch ist. Aber jetzt …«
»Sindre Sand steckt ernsthaft in Schwierigkeiten«, fiel Silje Sørensen ihr ins Wort. »Ich habe ihn eben vernommen, auf die alte Weise, meine ich … ich konnte einfach nicht warten … Es dauert so lange, bis die Protokolle fertig sind und so … Er hat gelogen, als …«
Sie holte Atem und lachte kurz.
»Also«, sie machte einen neuen Anfang, »ich habe Sindre Sand vernommen. Seine frühere Aussage taugt überhaupt nichts.«
»Ach.« Annmari Skar massierte sich den Nacken.
»In seinem Alibi gibt es ein Loch. Ein Loch so groß wie eine Scheunentür, es ist total absurd, daß wir das nicht schon längst festgestellt haben. Ich war …«
Sie schob der Polizeijuristin das Vernehmungsprotokoll hin. Eine Minute später war auf der anderen Seite des Tisches das Interesse um einiges gewachsen.
»Er hatte vergessen, daß er zwischendurch mehr als eine Stunde nicht im Rundfunkgebäude war?«
»Er sagt, es waren höchstens zwanzig Minuten. Andere reden von einer guten Stunde. Du siehst ja, sie haben bei den Aufnahmen eine Pause eingelegt. Er ist mit seiner Vespa losgefahren, um sich an einer Tankstelle in der Suhms gate Tabak zu kaufen. Dort will er einen alten Schulkameraden getroffen haben, aber …«
»Aber natürlich kann er sich an dessen Namen nicht erinnern«, sagte Annmari und lächelte kurz. »Diese Geschichte haben wir doch irgendwo schon mal gehört.«
»Er weiß noch den Vornamen. Lars. Oder Petter. ›Oder so‹, wie er sagt.« Silje lachte und fuhr fort: »Er sagt, er fand es so peinlich, den Namen vergessen zu haben, daß er nicht danach fragen mochte. Sie sind in Parallelklassen gegangen. Wir könnten das natürlich überprüfen, aber das dauert. Ich hatte die Hoffnung, die Videoüberwachung der Tankstelle könnte uns weiterhelfen, aber die zeigt nur, daß Sindre um zwanzig vor elf hereinkommt und zwei Minuten später wieder geht. Dieser angebliche Kumpel soll draußen gestanden haben. Aber egal, auf jeden Fall hat …«
»Sindre Sand in seinem Alibi eine Scheunentür.«
Annmari Skar strich sich die dunklen Haare hinter die Ohren. Silje bemerkte zum ersten Mal, daß die rundliche Polizeijuristin hübsch war. Sie hatte etwas Unnorwegisches an sich, große braune Augen und einen lateinischen Teint.
Silje legte den Kopf schräg und sagte zögernd: »Es kommt mir zwar sehr kaltblütig vor, erst Zigaretten zu kaufen, dann einen Mord zu begehen und danach zu Fernsehaufnahmen zurückzukehren, aber …«
»Der, der Brede Ziegler ermordet hat, kann durchaus kaltblütig gewesen sein«, sagte Annmari Skar trocken. »Aber du hast hier doch noch mehr!«
Ihre Augenbrauen hoben sich ein wenig, als sie im Vernehmungsprotokoll weiterblätterte. Silje fiel eine Narbe über Annmaris Auge auf; sie gab der Braue einen bekümmerten Knick und ließ sie eher besorgt als wirklich überrascht aussehen.
»Das ist sehr gut, Silje«, sagte sie ernst.
Silje Sørensen strahlte. Hanne Wilhelmsen hatte ihr ins Ohr geflüstert, daß ein sorgfältigerer Blick auf Sindre Sand sich lohnen könnte.
»Nicht, daß ich ihn wirklich für den Mörder halte«,
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