Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
entscheiden zu können, ob sie sich wieder setzen sollte. Ihr Rücken schmerzte, und schließlich ließ sie sich auf den Stuhl zurücksinken.
»Tut mir leid«, sagte Annmari schließlich. »Aber du kennst Billy T. nicht so gut wie ich. Er war fertig, als Hanne verschwunden ist. Am Boden zerstört. Hast du zum Beispiel gewußt, daß sie bei seiner Hochzeit Trauzeugin sein sollte, daß sie ihren Rückzug aber mit keinem Wort angekündigt hat? Er hat gewartet, solange es überhaupt nur ging. Einen Tag vor der Hochzeit hat er dann seine Schwester gefragt.«
Silje schüttelte langsam den Kopf und hob die Handflächen, als wolle sie nicht mehr hören.
»Du hast recht«, sagte Annmari. »Das geht uns nichts an. Aber mir fällt das schwerer als dir. Okay? Gut. Und was hat sie nun eigentlich gesagt?«
»Gesagt? Wer denn?«
»Hanne. Du hast diesen Ball mit der Mitteilung eröffnet, daß sie …«
»Ach ja. Sie hat gesagt, wir hätten uns am Sonntag dem 5. die Augen verdorben. Und sollten uns lieber Samstag und Freitag und Donnerstag genauer ansehen … die Woche und die Wochen vor dem Mord. Aber das haben wir nicht. Erst als Hanne zurückgekommen ist. Deshalb erfahren wir das alles erst jetzt.« Sie zeigte auf den geschlossenen Ordner. »Ich habe letzte Nacht mit dem Gedanken gespielt, einen Haftbefehl zu beantragen. Aber dann habe ich beschlossen, einen etwas originelleren Kniff zu versuchen.«
Sie schaute beschämt zur Seite, als habe sie sich ein grobes Dienstvergehen zuschulden kommen lassen.
»Ich habe ihn heute morgen um fünf angerufen und zu einem Gespräch hergebeten.«
»Du hast was getan?«
»Ist das verboten?«
»Nein.«
Annmari Skar spielte an ihrer Kaffeetasse herum
»Er ist gekommen«, sagte Silje erleichtert, »und da saßen wir dann. Er wollte erst zugeben, daß er Brede am Samstag abend gesehen hat, als ich auf die große Trommel geschlagen habe. Es ist noch unklar, wo und warum sie sich getroffen haben, aber … er hat auch in bezug auf Vilde gelogen und deshalb …«
»Hör mal«, sagte Annmari Skar und schaute auf ihre Armbanduhr. »Ich muß jetzt unbedingt gehen. Aber ich verspreche, ich werde … wo ist er jetzt?«
»Sitzt im Hinterhaus. Ich dachte, du könntest einen Haftbefehl ausstellen und dann …«
»Ich werde dir etwas erzählen«, sagte Annmari und beugte sich über den Tisch.
Der Kantinenhelfer war mitsamt dem Tablett verschwunden. Silje und Annmari saßen allein in der großen Kantine. Aus der Küche drangen die gedämpften Geräusche einer Spülmaschine und das Klirren von Geräten, die eingeräumt wurden.
»Dieses Hinterhaus kommt mir langsam vor wie ein beheiztes Wartezimmer für alle Zeugen im Fall Ziegler.«
»Wie meinst du das?«
Annmari fischte eine Liste aus ihrer Jackentasche und las vor: »Claudio Gagliostro. Paragraph 233 Strafgesetzbuch sowie Paragraph 49. Sowie 257, ersatzweise 317.« Sie schaute von ihrem Zettel hoch, förderte ihre Brille zutage und erklärte:
»Versuchter Mord und Diebstahl, ersatzweise Hehlerei. Vilde Veierland Ziegler: Paragraph 21 Straßenverkehrsordnung, vergleiche Paragraph 22 vergleiche Paragraph 31. Fahren in berauschtem Zustand, mit anderen Worten. Tussi Gruer Helmersen, Paragraph …«
Sie knallte die Liste der jüngsten Verhaftungen auf den Tisch und verdrehte die Augen.
»Diese Frau ist jedenfalls knatschverrückt. Deine Freundin …Verzeihung, Hanne … sie schüttelt nur den Kopf und sagt, wir müßten sicherheitshalber die Wohnung durchsuchen, aber die alte Kuh wolle sich aller Wahrscheinlichkeit nach nur wichtig machen. Vorläufig sitzt sie aufgrund einer ziemlich konstruierten Anklage im Hinterhaus, aber was zum Teufel soll werden, wenn …«
»Sitzen die jetzt alle im Hinterhaus? Was in aller Welt ist denn passiert? Sindre Sand, Claudio, Vilde und …«
»Und diese blöde Tussi. Ich krieg Kopfschmerzen, wenn ich nur an morgen denke. Wir können die doch nicht alle vor den Untersuchungsrichter schleifen. Das …«
»Aber du setzt auf Sindre?«
»Ja. Ich setze auf Sindre. Bis auf weiteres jedenfalls.«
»Du bist ein Schatz«, sagte Silje und riß die Unterlagen an sich.»Ich lege dir die Kopien auf den Schreibtisch. Bis dann!«
Sie stürzte zur Tür, ohne zu merken, daß ihre Haare voller Tannennadeln waren. Es war fünf Uhr am Montag nachmittag, und sie mußte Tom anrufen und sagen, daß sie zum Essen nicht nach Hause kommen würde. Schon wieder nicht.
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»Scheiße, so nicht. Ich will meine
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