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Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt , Berit Reiss-Andersen
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zu erläutern. Vor Gericht klang ihre Stimme immer tiefer als sonst. Sie sprach langsam, als berücksichtige sie, daß der Protokollführer jedes Wort notierte. Sie redete eine Dreiviertelstunde. Das, was sie sagte, wäre auch in fünf Minuten zusammenzufassen gewesen.
    »Die Polizei bleibt bei ihrem Antrag«, schloß sie und rückte die Tischplatte wieder gerade, ehe sie sich setzte.
    Anwalt Becker warf sich den Schlips über die Schulter, wie um den Eindruck von hohem Tempo zu vermitteln. Er sprach schnell und so laut, daß Richter Lund ihn nach wenigen Minuten unterbrach, um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er einen knappen Meter vor dem Richtertisch stand; ob der Herr Anwalt sich freundlicherweise ein wenig dämpfen könne? Das konnte er offenbar nicht, und sein Kollege Bøe rückte drei Plätze weiter. Selbst dort hielt er sich noch diskret die Hand vors rechte Ohr.
    »Der Antrag der Polizei ist ein Schuß in den Nebel«, schrie Becker. »Es liegt doch auf der Hand, daß nach über zwei Wochen Ermittlungen ein dringendes Bedürfnis nach Ergebnissen besteht. Weihnachten rückt näher, verehrtes Gericht, und die Presse geifert. Geifert!«
    Er machte eine vielsagende Geste in Richtung Ausgangstür. Billy T. fragte sich, ob der Anwalt wohl so laut redete, damit die Journalisten draußen ihn hören konnten.
    »Haare«, sagte Becker und strahlte Richter Lund an. »Die Polizei hat an der Kleidung des Ermordeten Haare meines Mandanten gefunden. Sieh an! Ich bin ziemlich sicher, Herr Richter, wenn Sie die Polizei Ihren Mantel untersuchen lassen, daß sich daran Haare von fast allen finden werden, mit denen Sie Ihre Garderobe teilen. Garderobe teilen.«
    Er schnippte mit den Fingern der rechten Hand und setze eine verklärte Miene auf.
    »Aha! So einfach!«
    Dann hob er seinen Plastikbecher an die Lippen und hatte es nicht länger eilig. Als alles getrunken war, schenkte er sich aus seiner Glaskaraffe nach. Darauf lächelte er wieder, ein breites Lächeln, bei dem in seinem runden, fast kindlich weichen Gesicht ungewöhnlich weiße, gleichmäßige Zähne sichtbar wurden. Endlich dämpfte er auch seine Stimme ein wenig.
    »Wir sehen also, verehrtes Gericht, wir sehen also, daß die Polizei ein höchst bemerkenswertes Manöver vollführt, um triftige Verdachtsgründe zu erhalten. Höchst merkwürdig. Mein Mandant soll also, abgesehen davon, daß er vor zwei Wochen Brede Ziegler erstochen haben soll, vorletzte Nacht versucht haben, Sebastian Kvie umzubringen …« Wieder lächelte er und ließ diesem Lächeln ein glucksendes kleines Lachen folgen. »Unsinn und Humbug. Ich wiederhole …«
    »Sie brauchen Unsinn und Humbug nicht zu wiederholen, Anwalt Becker. Es wäre außerdem von Vorteil, wenn Sie einigermaßen die Ruhe bewahren könnten.«
    Anwalt Becker, der angefangen hatte, auf und ab zu gehen, reagierte auf diesen Tadel und nahm eine Art straffe Habachtstellung ein. Langsam zog er sich den Schlips von der Schulter und betrachtete das Muster für einige Sekunden, ehe er ihn auf seiner Brust arrangierte.
    »Notwehr«, schrie er dann so plötzlich, daß sogar die beiden Uniformierten, die mit halbgeschlossenen Augen dagesessen hatten und offenbar nicht zuhören mochten, zusammenfuhren. »Ja, vermutlich handelt es sich bei dem Zwischenfall auf einem Gerüst in der Osloer Innenstadt um einen puren Unfall, und wenn es wirklich der Fall sein sollte, daß mein Mandant Sebastian Kvie gestoßen hat, dann handelt es sich um ein Bilderbuchbeispiel von Notwehr. Denn welche Behauptung hat die Polizei aufgestellt? Die Behauptung, daß mein Mandant mitten in der Nacht hellwach dasitzt, gekleidet in seinen Schlafanzug aus gestreiftem Flanell, und darauf wartet, daß sein Opfer auf ein Gerüst steigt, um sich im vierten Stock vor sein Fenster zu stellen. Im vierten Stock! Ist das ein normales Verhalten für ein potentielles Opfer? Sich als Fassadenkletterer zu betätigen, um sich passend zum Geschubstwerden aufzustellen? Was?«
    Einer der Uniformierten versuchte ein Lachen zu unterdrücken. Er beugte sich vor und stützte die Unterarme auf seine gespreizten Oberschenkel, während er den Kopf über seinen Schritt hängen ließ. Seine Schultern bewegten sich lautlos.
    »Sehen Sie«, sagte Anwalt Becker und zeigte auf den jungen Mann. »Das ist so lächerlich, daß selbst die Polizei es nicht glauben kann! Ihre eigenen Leute!«
    Anwalt Becker war vor Erregung rot angelaufen. Sein Mandant dagegen wirkte ruhiger. Er blickte bewundernd

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