Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
an.
»Dann … dann habe ich ja keine Wohnung mehr.«
Karen hob die Hand und lächelte aufmunternd. »Sie haben die Wohnung in der Niels Juels gate und …«
»Ich will da nicht wohnen. Ich hasse diese Wohnung!« Die Stimme versagte, und die Augen drohten überzulaufen.
»Ganz ruhig. Ganz ruhig, bis ich das alles erklärt habe. Es wird einige Zeit brauchen, das ganze Erbe durchzugehen, aber ich kann Ihnen jetzt schon versichern …« Karen schob ihrer Mandantin noch einmal die Teetasse hin. »… daß Ihnen viel Geld bleiben wird.«
Vilde Veierland Ziegler legte ganz langsam eine Hand um die heiße Tasse. »Ich werde viel Geld erben?«
Zwei rote Flecken zeigten sich auf den Wangen, und Karen glaubte in Vildes Gesicht die Andeutung eines Lächelns zu erkennen.
»Ihr Mann hatte offenbar geplant, Gütertrennung einzuführen. Ich habe mit seinem Anwalt gesprochen, einem alten Kollegen von mir. Er sollte einen Ehevertrag für Sie beide aufsetzen, aber Brede hatte noch keinen Termin für die Unterzeichnung abgemacht. Und damit ist die Sache ganz einfach. Da der Ehevertrag nicht von Ihnen beiden unterschrieben ist, gilt er nicht. Sie haben in Gütergemeinschaft gelebt.«
Karen blätterte in ihren Unterlagen. Aus irgendeinem Grund fand sie die Veränderung, die ihre Mandantin gerade durchmachte, abstoßend.
»Da Brede keine Kinder hatte, sind Sie seine einzige Erbin. Was das Restaurant angeht … das Entré ist eine Aktiengesellschaft. Brede und Claudio haben jeder ungefähr die Hälfte besessen. Sie haben eine Abmachung darüber getroffen, wer innerhalb der Gesellschaft welche Entscheidungen trifft. Außerdem haben sie festgelegt, daß der andere den ganzen Laden übernimmt, wenn einer von beiden stirbt.«
Wieder schaute sie ihre Mandantin an. Die war auf dem Weg zurück zu ihrer verschlossenen Miene.
»Aber eine solche Abmachung ist nicht in jedem Fall bindend. Eine Abmachung, in der Sie … wenn Sie entscheiden wollen, was nach Ihrem Tod mit Ihrem Besitz geschehen soll, dann müssen Sie das festlegen. Und sich dabei an gewisse Formalitäten halten. Das bedeutet, daß Sie ein Testament machen müssen. Und das hat Brede nicht getan. Eine firmeninterne Abmachung ist kein Testament. Das heißt vermutlich, daß Sie Bredes Entré -Anteile und die Wohnung in der Niels Juels gate erben. Selbst wenn beides mit Hypotheken belastet sein sollte, müßte das sehr viel Geld bedeuten. Einige Millionen.«
Aus dem Augenwinkel sah Karen, daß Vilde die Tasse zum Mund gehoben hatte.
»Und außerdem … es gibt hier auch noch andere Aktivposten. Gegenstände meine ich. Werte. Unter anderem ziemlich viele Aktien einer italienischen Gesellschaft. Wissen Sie etwas darüber?«
Vilde schüttelte den Kopf. Sie war viel zu jung. Sie konnte die Tatsache, daß sie sich in die Lippe biß, um nicht zu lächeln, nicht verbergen. Karen Borg schauderte. Schon bei der ersten Begegnung, die einige Tage zurücklag, hatte sie diesen Eindruck gehabt: Irgend etwas stimmte nicht mit dieser jungen Frau.
»Dann sehen wir uns bald wieder.«
Karen rang sich ein Lächeln ab.
Vilde Veierland Ziegler verließ die Kanzlei, und Frau Duckert kam mit ihrer Kaffeetasse ins Zimmer.
»Du hast bei der jungen Dame offenbar ein Wunder vollbracht«, sagte sie und goß sich aus einem Porzellankännchen Milch ein. »Als sie gekommen ist, sah sie aus wie ein Gespenst. Und als sie gegangen ist, hat sie zum Abschied wirklich reizend gelächelt.«
25
»Ich war verrückt und hatte beschlossen, wieder gesund zu werden.«
Suzanne legte den Löffel hin und lächelte Idun Franck flüchtig an. Die Lektorin hatte ihren Teller nicht angerührt. Es war Suzanne Klavenæs noch immer ein Rätsel, warum sie zum Essen eingeladen worden war. Die beiden Frauen arbeiteten seit einigen Monaten zusammen an dem Ziegler-Buch, hatten jedoch so gut wie nie ein persönliches Wort gewechselt. Jetzt, da das Buchprojekt vielleicht eingestellt werden mußte, hatte Idun sie plötzlich zur Bouillabaisse eingeladen. Suzannes erster Impuls war gewesen, dankend abzulehnen. Aber Idun hatte gesagt, sie könnten Essen und Arbeit verbinden, und außerdem hatte sie etwas Besonderes an sich. Idun war so, wie Suzanne ihre eigentlichen Landsleute in Erinnerung hatte – oder wie sie sich diese vorstellte. Sie war auf reservierte Weise freundlich, sie lächelte nicht übertrieben, sie war auf professionelle Weise aufmerksam. Persönlich hielt sie Distanz, und Suzanne brauchte sich nicht die ganze Zeit
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