Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Eintreffen hatte sie ihre Fotomappe auf den Couchtisch gelegt. Es überraschte sie, daß Idun das nicht gesehen hatte.
»Wo hab ich denn das Manuskript?« murmelte Idun Franck und schaute im Zeitungsständer und hinter dem Fernseher nach. »Ich muß es irgendwo verlegt haben. Denn ich weiß genau, daß ich es mit nach Hause gebracht habe.«
Die Suche blieb ergebnislos; Idun Franck hob Sofakissen hoch und schaute in zwei leeren großen Vasen nach. Suzanne goß sich aus einer Tonkanne Kaffee ein und dachte, daß Idun Franck ihren Ordnungssinn offenbar für die Arbeitszeit reserviert hatte.
»Wir müssen ohne zurechtkommen«, sagte Idun schließlich kleinlaut. »Zeig doch mal die Bilder, bitte.«
Zwei Stunden lang konzentrierten sie sich auf die Arbeit.
»Essen und Landschaften sind offenbar kein Problem«, schloß Idun Franck und fuhr sich durch die Haare. »Ich schlage vor, du machst genau so weiter. Ich werde mit Claudio reden, damit du die Gerichte fotografieren kannst, die im schon vorhandenen Text erwähnt werden.«
»Heißt das, ihr habt beschlossen, das Buch zu machen?« fragte Suzanne und trank ihren Kaffee Nummer vier. »Natürlich können wir mit dem arbeiten, was wir haben, aber soll ich denn jetzt noch Fotos machen?«
»Endgültig werden wir uns erst entscheiden, wenn der Mord aufgeklärt ist, aber bis dahin wollen wir das Buch so weit bringen wie möglich. Nicht mein Beschluß, tut mir leid. Ich muß mich nach einem Chef richten, der … ach, vergiß es. Tut mir leid. Ich werde die im Text erwähnten Gerichte heraussuchen und dir eine aktualisierte Liste machen. Das hier ist schön!« Sie griff nach einem Schwarzweißbild von Brede Ziegler. »Das ist so … unmittelbar, irgendwie. Hat er dich da nicht gesehen?«
»Nein. Ich mag es auch. Es ist gut, wenn auch nicht gerade schmeichelhaft.«
Suzanne suchte ihre Bilder zusammen, wobei sie sorgfältig darauf achtete, daß ihre gelben Notizzettel jeweils auf der Rückseite des richtigen Fotos klebten. Idun fegte die Notizen zusammen, die sie sich im Laufe des Abends gemacht hatte, und verstaute sie in Unni Lindells letztem Kriminalroman, der auf einem Beistelltisch neben dem Fernseher lag.
»Da vergesse ich sie garantiert nicht«, sagte sie mit verlegenem Lächeln. »Übrigens …« Sie warf einen Blick auf das Buch, als habe es sie an etwas erinnert. »Hat die Polizei mit dir gesprochen?«
»Die Polizei? Nein. Ich stehe doch sicher ganz unten auf der Liste der interessanten Zeuginnen … warum fragst du? Haben sie mit dir gesprochen?«
Sie schloß ihre Fotomappe und ging in den Flur. Als Idun ihr nicht folgte, drehte sie sich um.
»Ja«, sagte Idun. »Mit mir haben sie gesprochen. Und wir können uns nicht einigen, was den Einblick in unveröffentlichtes Material angeht. Den Quellenschutz. Ich habe das Gefühl, gegen eine Wand anzureden. Wußtest du, daß Polizisten gar nicht mehr nach Polizei aussehen? Der, mit dem ich gesprochen habe, hat behauptet, nur einen Vornamen zu haben. Er sah aus wie ein … Neonazi. Petruskreuz am Ohr und …« Idun strich sich über den Kopf, als wolle sie sich die Haare scheren.
Suzanne hätte fast ihre Fotomappe fallen lassen, sie mußte sich gegen den Türrahmen lehnen.
»Mon dieu«, sagte sie leise. »Dieses Land ist wirklich wie ein … Dorf?«
»Weißt du, von wem ich rede?«
»B.T. Er heißt … ich habe ihn immer B.T. genannt.«
»Nein. Er heißt Bobby oder Billy oder so. Kann das derselbe sein? Kennst du ihn?«
»Er war einer von denen, von denen ich wegwollte. Damals, als ich verrückt war und beschlossen hatte, wieder gesund zu werden.«
Suzanne Klavenæs gab sich einen Ruck. Als sie ihren Mantel angezogen hatte, kam Idun hinterher. Die beiden Frauen standen einander gegenüber, jede an einem Ende des langen Flurs, die eine groß, dunkel und fast mager, die andere klein, mollig und aschblond.
»Danke für deinen Besuch«, flüsterte Idun. »Soll ich dir ein Taxi holen?«
Suzanne wollte lieber zu Fuß gehen. Als sie dreißig Meter der Myklegardsgate hinter sich gebracht hatte und sich dem Weg näherte, der sie durch den Park und zum Grønlandsleiret bringen würde, drehte sie sich um. In Iduns Wohnung waren alle Lampen gelöscht. Nur im Küchenfenster sah sie den Schimmer einer Kerze. Für einen Moment erkannte sie hinter der Fensterscheibe Idun Francks Gesicht. Vielleicht war es auch nur Einbildung. Trotzdem schauderte sie, und ihr ging auf, daß Idun Franck der erste Mensch war, den sie
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