Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Übernachtungsgäste längst aus dem Haus gewesen, nur das Reinigungspersonal ging seiner Arbeit nach.
»Sie wissen sehr gut, daß ich Ihnen das nicht sagen kann. Ich kann Ihnen auch die Bestimmungen vorlegen, an die ich mich hier halte. Aber die sind Ihnen sicher bekannt.«
Die Heimleiterin führte Hanne Wilhelmsen in eins der beiden großen Wohnzimmer, die durch eine Schiebetür voneinander getrennt waren. Der Raum war hell und gemütlich, auch wenn die Einrichtung von leeren Kassen berichtete. Ledersofa und Sessel paßten nicht zueinander, und der Boden war seit den Zeiten des Großhändlers mit einem Korkbelag versehen worden. Dennoch sorgten die Blumentöpfe auf der Fensterbank und die mit der Buchklubproduktion der letzten zehn Jahre vollgestopften Regale für Wärme. Hanne starrte die Leiterin über ihre Kaffeetasse hinweg an.
»Es geht um einen Mord. Wenn ich daran erinnern darf.«
»Spielt keine Rolle. Und das wissen Sie genau.«
Die Frau, die die Verantwortung für die Herberge trug, war vor vielen Jahren als Leiterin einer Organisation ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, die die Interessen von Prostituierten vertrat. Damals schien es sie zu amüsieren, daß die Presse sie ebenfalls für eine Nutte hielt. Jedenfalls hatte sie sich kaum Mühe gegeben, diese Gerüchte zu entkräften. Jetzt stellte kaum noch jemand solche Spekulationen an.
»Die Mädels müssen sich auf mich verlassen können. Das verstehen Sie sicher. Und wir wissen nicht immer, wer gerade hier ist.«
»Das wissen Sie nicht?« Hanne stellte ihre Tasse weg und kniff die Augen zusammen. »Haben Sie denn keine Form von Registrierung?«
»Doch. Die Gäste haben Namen und Nummer. Aber wenn sie sich als Lena eintragen, dann heißen sie für uns Lena. Auch wenn auf ihrer Geburtsurkunde etwas anderes steht.«
»Aber Sie müssen die Frauen doch inzwischen kennen.«
Die Leiterin lächelte. Ihr klares Gesicht holte Sonne aus dem bleichen Wintertag herein. Ein leichter Luftzug, der durch das geöffnete Fenster kam, brachte Tannenduft mit. Im Garten wechselten gerade zwei Männer die Glühbirnen an einem üppigen, fest im Boden verwurzelten Weihnachtsbaum aus.
»Viele jedenfalls. Die festen Kundinnen.»
»Hören Sie. Irgendwer muß doch …«
Die Rufe der beiden, die den Garten schmückten, waren im Zimmer zu hören. Hanne stand auf, um das Fenster zu schließen.
»Wir wissen, daß der Anruf von dem Diensttelefon hier kam. Irgendwer muß also irgendwen zum Anrufen ins Büro gelassen haben. Falls es sich bei der Anruferin nicht um …«
»… eine Angestellte gehandelt hat?«
Das Lächeln und der leise südnorwegische Tonfall der Leiterin ärgerten Hanne inzwischen.
»Zum Beispiel. Nein. So hat sie sich nicht angehört. Es sei denn, Sie haben heruntergekommene Angestellte. Sehr heruntergekommene.«
»Ich kann Ihnen nichts sagen. Ich … meine Loyalität gehört den Mädels. Das muß so sein. Wenn Sie mir den richterlichen Befehl zur Aussage bringen, dann werde ich mir die Sache natürlich überlegen. Aber auch dann ist nicht sicher, daß ich etwas sage.«
Hanne Wilhelmsen seufzte demonstrativ. »Haben alle Zeuginnen in diesem Fall in ihrer Freizeit Jura studiert, oder was?«
»Verzeihung?«
»Ach, nichts. Vergessen Sie’s.«
Hanne starrte zum Sofa hinüber und zögerte. Dann bückte sie sich rasch und griff nach ihrer Jacke, die über der Lehne hing.
»Schöne Handschuhe«, sagte die Leiterin. »Rot. Originell. Es tut mir leid, daß Sie umsonst gekommen sind.«
Sie begleitete Hanne nach draußen. Als Hanne die Tür hinter sich ins Schloß fallen hörte, blieb sie stehen und schaute mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel. Frau Justizia erlaubte sich wirklich üble Scherze mit ihnen. Zuerst hatte Idun Franck auf Paragraphen gepocht und den Mund gehalten, dann kam diese Stadtmissionarin und berief sich auf Bestimmungen und alles mögliche, um nur ja keinen Mucks von sich geben zu müssen.
»Inger Andersen«, sagte Hanne langsam und ohne so recht zu wissen, warum.
Inger Andersen hatte zwei Jahre vor Hanne die Polizeischule absolviert und anschließend Jura studiert. Nach anderthalb Jahren als Polizeijuristin hatte sie sich die Sache anders überlegt. Sie hatte die Paragraphen zum Erbrechen satt gehabt und sich nach dem zurückgesehnt, was sie als echte Polizeiarbeit bezeichnete. Schließlich war sie zur Leiterin der Prostitutionsermittlungsgruppe ernannt worden, der Prosspan. Gegen Ende der achtziger Jahre dann hatten die
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