Das letzte Opfer (German Edition)
für den Kindergarten, sollte sie wieder in der Agentur arbeiten. Margo freue sich schon darauf, sagte er häufig.
Und vorher wollte er mit ihr nach Warschau. Dort gäbe es einen plastischen Chirurgen, der wahre Wunder vollbringen und ihr das Gesicht zurückgeben könne. Aber die Krankenschwestern auf der Station wussten nichts von einem Wunderchirurgen in Warschau und meinten, es gäbe auch in der Uni-Klinik gute Chirurgen und einen noch besseren in Düsseldorf.
Doch den zahle die Krankenkasse nicht, und er sei sehr teuer, erklärte Marko. Er kam jeden Abend für eine halbe Stunde und schwärmte ihr von der Zukunft vor. Außer ihm kam niemand mehr. Margo war nur zweimal bei ihr gewesen, vertrug angeblich die Krankenhausluft nicht. Aber vielleicht konnte Margo ihr nur nicht mehr in die Augen schauen.
Von ihrer Familie konnte das auch niemand mehr. Nach Karlheinz war nur Sarah noch einmal gekommen, hatte keine Vorwürfe erhoben, nur den halben Nachmittag erzählt von Hausdurchsuchung und Verhören, den beiden schlimmen Anrufen, die Jasmin in die Flucht geschlagen hatten, und von Oliver Lohmanns letztem Besuch in der Werkstatt, wo im Computer alle Kundendaten gespeichert waren – auch Markos Handynummer. Das erwähnte Sarah nicht, wusste es vielleicht gar nicht.
«Ich erwarte nicht, dass du mir glaubst, Karen», sagte sie. «Aber es gibt nur zwei Möglichkeiten, mein Mann oder deiner. Einer von beiden hat all diese Frauen umgebracht. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Norbert zu so etwas fähig wäre.»
Karen konnte und wollte sich das bei Marko nicht vorstellen. Aber seit dem Gespräch mit Sarah sah sie oft den Telefonstecker neben der Garderobe in der Diele liegen. Sah Marko an Kevins Bett sitzen, hörte Kevin von Jasmin und dem Telefon plappern und Marko sagen: «Ist ja gut.» Dann hatte er sie ins Schlafzimmer geführt. «Wie habe ich das vermisst, Schatz.»
Das Medaillon seiner Mutter vermisste er nicht. Sie fand es seltsam, wie leicht er darüber hinwegging, die einzige Erinnerung an die Frau, die ihn geboren hatte, verloren zu haben. «Das ist doch nicht wichtig, Schatz. Du bist bei mir, das zählt. Die Polizei vermutet, dass Oliver Lohmann es dir abgenommen hat.»
Möglich. Als Oliver sie mit dem Kopf in den Eimer stieß, hatte es noch vor ihrer Brust gebaumelt. Es war gegen das Blech geschlagen, das Geräusch klang ihr noch im Ohr. Aber Oliver konnte es später genommen haben, nachdem sie das Bewusstsein verloren hatte.
Und wo waren die Ohrstecker und der Ring aus Platin? «Ich nehme an, Norbert hat sie aus deiner Kassette genommen, um mich zu belasten, Schatz.»
Auch möglich. Aber das graue Kostüm mit dem knielangen Rock hatte Norbert nicht genommen. Sie hatte es, als es ihr zu weit wurde, Sarah schenken wollen. Und er hatte gesagt: «Teure Geschenke verschenkt man nicht weiter, Schatz.» Dann hatte er es mitgenommen, um es in einen Altkleidercontainer zu stecken.
Und was war mit den Schritten über ihrem Kopf, dem Ruck in ihrem Nacken, als ihr das Medaillon vom Hals gerissen wurde? Was war mit der Stimme? «Das brauchst du nicht mehr.» Was war mit dem lahmen Applaus, den sie gehört hatte, und mit den Worten: «Gut gemacht, Junge, aber du hättest nicht so übertreiben müssen.» Was war mit den Schritten im Flur, dem Schlagen der Haustür und dem Motorengeräusch?
Wenn sie nur gewusst hätte, wie viele ihrer Erinnerungen an die Stunden auf dem Fußboden auf realem Erleben und wie viele auf Halluzinationen beruhten. Halb wahnsinnig vor Durst und Schmerz, den Verwesungsgeruch in der Nase und den Namen ihres Bruders im Ohr. Aber als Oliver diesen Namen in ein Telefon sprach, war Norbert mit Sarah, Christa, Jasmin, Michael und Kevin im Phantasialand gewesen.
Und Sarah sagte: «Er wollte kurz vor Mittag anrufen und fragen, ob wir noch mit euch rechnen könnten. Ich habe ihm das Handy abgenommen, weil ich dachte, er sollte euch jetzt besser in Ruhe lassen.»
Es fiel ihr von Tag zu Tag schwerer, für eine halbe Stunde am Abend die gutgläubige Frau zu spielen, die sich auf eine neue Wohnung freute, auf eine Haushaltshilfe und ein neues Gesicht. Manchmal spielte sie mit dem Gedanken, Doktor Gerber rufen zu lassen, um einmal über alles zu reden mit einem Menschen, der nicht persönlich betroffen war. Aber Doktor Gerber war nicht objektiv, meinte sie. Er hatte doch unentwegt auf Marko herumgehackt.
Und die Vorstellung, dass der Mann, der in ihrer letzten gemeinsamen Nacht so unendlich
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