Das Letzte Protokoll
n gel das Bild.
Auf das Fenster gesprüht steht zu lesen: »... wer auf unsere I n sel kommt, wird sterben . ..«
Angel sagt: »Das ist ein Hershel Burke, hundertprozentig. Ph i ladelphia, 1879. Das Gegenstück steht im Vande r bilt-Landhaus in Biltmore.«
Vermutlich hatte Misty das vom Grundkurs Kunstg e schichte her in Erinnerung oder aus dem Grundkurs Kunstgewerbe oder irgendeinem anderen nutzlosen S e minar auf der Kunstakademie. Vielleicht hatte sie den Sessel auch im Fernsehen gesehen, in e i ner Sendung über b e rühmte Häuser. Wer weiß schon, wo die Ideen herkommen. Inspirationen. Warum wir uns vorste l len, was wir uns vorstellen.
Misty sagt: »Ich bin froh, dass ich überhaupt was gemalt habe. Mir war so schlecht. Lebensmittelvergiftung.«
Angel dreht das Bild hin und her. Der Corrugator zwischen seinen Augenbrauen zieht sich zu drei tiefen Falten zusammen. Die glabellaren Furchen. Sein Triangularis verformt die Lippen, bis von den Mundwinkeln scharfe Marionettenfalten nach unten g e hen.
Während Misty das Gekritzel an der Wand abzeichnet, erzählt sie Angel nichts von den Magenkrämpfen. Den ganzen blöden Nachmittag lang hatte sie versucht, einen Felsen oder einen Baum zu zeichnen, und jeden dieser Versuche hatte sie angew i dert zerknüllt. Ebenso erging es der Stadt in der Ferne, dem Kirchturm und der Uhr an der Fassade der Bibliothek: alles ze r knüllt. Sie ze r knüllte ein beschissenes Porträt von Peter, das sie nach der Erinnerung zu zeichnen versucht hatte. Sie ze r knüllte ein Bild von Tabbi. Dann ein Einhorn. Sie trank ein Glas Wein und überlegte, was sie mit ihrem fehlenden Talent sonst noch ruinieren könnte. Und aß noch ein Hühnersalat-Sandwich mit diesem seltsamen Koriande r geschmack.
Schon bei der Vorstellung, in den dunklen Wald zu g e hen und dort eine zerbröselnde Statue zu zeichnen, richt e ten sich ihr die Härchen im Nacken auf. Die umgestürzte Sonnenuhr. Die zug e sperrte Höhle. Gott. Hier auf der Wiese schien die Sonne. Im Gras summten Insekten. I r gendwo hinter dem Wald rauschten und brachen die We l len.
Misty brauchte nur zum dunklen Waldsaum hinüberz u sehen, um sich den großen Bronzemann vorstellen zu können: wie er mit den fleckigen Armen das Buschwerk teilte und sie mit den ausgehöhlten blinden Augen be o bachtete. Misty malte sich aus, er habe die marmorne Di a na getötet und die Leiche zerstückelt, und jetzt pirschte er durch die Bäume auf sie zu.
Die Regeln von Misty Wilmots Trinkspiel verlangen, dass man, wenn man sich vorstellt, eine nackte Bronzestatue umschlinge einen mit den Armen und quetsche einen mit einem Kuss zu T o de, während man sich kratzend die Fingernägel abbricht und sich die Hände an der bemoosten Brust blutig schlägt - na ja, dass man dann mal wieder was trinken sollte.
Wenn du halb nackt hinter einem Busch hockst und in ein kle i nes, von dir selbst gegrabenes Loch kackst und dir den Arsch mit einer leinenen Hotelserviette abwischst, trink dir noch einen.
Dann Magenkrämpfe und Schweißausbrüche. Jeder Herzschlag jagte ihr stechende Schmerzen in den Kopf. In ihren Ei n geweiden rumorte es, und sie schaffte es nicht rechtzeitig, die Unterhose runterzuziehen. Die Schwein e rei platschte ihr um die Schuhe und an die Beine. Von dem Gestank musste sie würgen, und Misty warf sich nach vorn, fiel mit den flachen Händen ins wa r me Gras, auf die kleinen Blumen. Schwarze Fliegen fanden sie aus Kilom e tern Entfernung und krabbelten ihr auf den Beinen herum. Das Kinn sank ihr auf die Brust, eine doppelte Hand voll rosa Kotze schwappte auf die Erde.
Wenn dir eine halbe Stunde später in deiner Fliegenwolke i m mer noch die Scheiße am Bein runterläuft, trink dir noch e i nen. Von all dem erzählt sie Angel nichts.
Sie zeichnet, während er in dem verschwundenen Wäschezi m mer herumfotografiert. Er sagt: »Was kannst du mir von Peters Vater erzählen?«
Peters Vater: Harrow. Misty hat Peters Vater sehr gern gehabt. Misty sagt: »Er ist tot. Warum?«
Angel macht ein Foto und spannt die Kamera. Er zeigt mit dem Kinn an die Wand und sagt: »Wie jemand das i schreibt, das sagt sehr viel aus. Der Aufstrich sagt etwas über das Ve r hältnis zur Mutter. Der Abstrich über den Vater.«
Peters Vater, Harrow Wilmot, wurde von allen Harry genannt. Misty hat ihn nur das eine Mal gesehen, als sie Peters Eltern vor der Hochzeit besucht hat. Bevor sie schwanger wurde. Harry führte sie ausgiebig auf W a ytansea Island herum, wies sie
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