Das Letzte Protokoll
vom Durc h messer großer Kristallkronleuchter ein. Es ist hier wie im Foyer des H o tels Waytansea, nur unordentlicher.
Tabbi trägt einen alten Ohrring, ein großes rotes Emai l leherz, umgeben von goldener Filigranarbeit, in der g e schliffene rote Glassteine funkeln. Sie hat ihn sich wie eine Brosche an ihr rosa Sweatshirt geheftet, es ist aber der Ohrring, den Peters blonder Freund sich aus dem Ohr gerissen hat. Will Tupper von der Fä h re.
Dein Freund.
Sie bewahrt den Schrottschmuck in einem Schuhkarton unter dem Bett auf und trägt ihn nur an besonderen Tagen. Die Gla s rubine glitzern im hellgrünen Schein, der von oben kommt. Der schmutzige Strass spiegelt das Rosa von Tabbis Sweatshirt.
Deine Frau und dein Kind, die beiden steigen über einen verro t tenden Baumstamm, auf dem es von Ameisen wimmelt, und schlängeln sich an Farnbüscheln vorbei, die Misty an der Hüfte streifen und Tabbi ins Gesicht schlagen. Sie sind leise, halten horchend nach Vögeln Au s schau, aber da ist nichts. Keine Vögel. Keine kleinen Frösche. Kein Laut außer dem Ozean, dem Ra u schen und Brechen von Wellen irgendwo.
Sie schieben sich durch ein Dickicht grüner Stängel, i r gendwas mit weichen gelben Blättern, das am Boden schon in Verwesung übergegangen ist. Man muss bei j e dem Schritt nach unten sehen, weil es schlüpfrig ist, und überall sind Pfützen. Wie lange Misty schon gegangen ist, gesenkten Blicks, Zweige festhaltend, damit sie Tabbi nicht ins Gesicht schlagen, Misty weiß nicht, wie lange, doch als sie einmal aufsieht, steht da ein Mann.
Nur um das festzuhalten: Ihre Levator-labii-Muskeln, ihre Zä h nefletschmuskeln, die Kampf-oder-Flieh-Muskeln, die krampfen sich zusammen, alle diese glatten Muskeln erstarren zu einem Bild des Knurrens: Mistys Lippen bi l den ein Rechteck, sodass alle ihre Zähne zu sehen sind.
Sie greift nach hinten, nach Tabbis Hemd. Tabbi sieht immer noch zu Boden, geht einfach weiter, und Misty reißt sie zurück.
Und Tabbi rutscht aus, zieht ihre Mutter mit runter und sagt: »Mama.«
Tabbi an die feuchte Erde gedrückt, Laub und Moos und K ä fer, Misty über sie geduckt, die Farnwedel über den beiden.
Der Mann steht etwa zehn Schritte vor ihnen, sieht aber nicht in ihre Richtung. Er dreht sich nicht um. Durch den Vorhang aus Farn gesehen, ist er zwei Meter groß, dunkel und schwer, und er hat braune Blätter in den Haaren und Schlammspritzer an den Beinen.
Er dreht sich nicht um, aber er bewegt sich auch nicht. Er muss sie gehört haben, und jetzt horcht er.
Nur um das festzuhalten: Er ist nackt. Sein nackter Hi n tern ist zum Greifen nah.
Tabbi sagt: »Lass los, Mama. Da sind Spinnen.«
Und Misty sagt: »Pst.«
Der Mann wartet, ganz starr, eine Hand in Hüfthöhe ausg e streckt, so als würde er die Luft nach einer Bew e gung abtasten. Kein einziger Vogel singt.
Misty kauert, die Hände flach in dem Matsch aufgestützt, b e reit, Tabbi zu packen und wegzulaufen.
Dann schlüpft Tabbi an ihr vorbei, und Misty sagt: »Nein.« So schnell sie auch nach ihr greift, sie kriegt nur die Luft hinter i h rem Kind zu fassen.
Nach einer, vielleicht zwei Sekunden hat Tabbi den Mann e r reicht und legt ihre Hand in seine.
In diesen zwei Sekunden begreift Misty, dass sie eine schlec h te Mutter ist.
Peter, du hast einen Feigling geheiratet. Misty kauert immer noch am Boden. Sie lehnt sich sogar etwas zurück, um schnell in die andere Richtung davonlaufen zu können. Nahkampf b e kommt man auf der Kunstakademie nicht beigebracht.
Und Tabbi dreht sich lächelnd um und sagt: »Mama, du bist doof.« Sie schlingt beide Hände um die ausgestreckte Hand des Mannes, zieht sich daran hoch und schaukelt mit den Beinen in der Luft. Sie sagt: »Das ist doch nur Apollo.«
Nicht weit von dem Mann, fast ganz bedeckt von gefallenem Laub, liegt eine Leiche. Eine blasse weiße Brust mit feinen bla u en Adern. Ein abgetrennter weißer Arm.
Und Misty hockt immer noch da.
Tabbi lässt die Hand des Mannes los und geht dorthin, wo Misty hinstarrt. Sie wischt Blätter von einem toten weißen G e sicht und sagt: »Das ist Diana.«
Sie sieht zu Misty hinüber und verdreht die Augen. »Das sind Statuen, Mama.«
Statuen.
Tabbi kommt zurück und nimmt Misty bei der Hand. Sie hebt Mistys Arm und zieht sie auf die Füße und sagt: »Hörst du? St a tuen. Du bist doch hier die Künstlerin.«
Tabbi zieht sie hinter sich her. Der stehende Mann ist eine Bronzefigur, nackt, die braune Haut fleckig von Flec h
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