Das Letzte Protokoll
auf die abblätternde Farbe und die eingefallenen Dächer der großen, mit Holz ve r kleideten Häuser hin. Mit seinem Autoschlüssel kratzte er losen Mörtel aus der Granitmauer der Kirche. Sie besahen sich die Risse und Buckel in den Bürgersteigen der Me r chant Street. Die halb zugeschimmelten Fassaden der Geschäfte. Das g e schlossene Hotel, zum größten Teil durch einen Brand zerstört, war innen ganz schwarz. Und a u ßen machte es mit den braunrot verrosteten Fliegengittern vor den Fenstern einen sehr schäbigen Eindruck. Die Läden krumm und schief. Die Regenrinnen de s gleichen. Meh r mals sagte Harrow Wilmot: »In drei Generationen alles verspielt.« Er sagte: »Egal, wie gut wir das Geld investi e ren, länger hält es ei n fach nicht vor.«
Peters Vater starb, nachdem Misty wieder aufs College zurüc k gegangen war.
Und Angel sagt: »Kannst du mir eine Probe seiner Han d schrift besorgen?«
Misty zeichnet weiter das Gekritzel ab und sagt: »Keine A h nung.«
Nur um das festzuhalten: Dass man mit Scheiße b e schmiert und mit rosa Kotze bespritzt nackt in der Wildnis herumläuft, das macht einen nicht unbedingt gleich zum echten Künstler.
Und auch nicht, dass man Halluzinationen hat. Draußen auf der Landspitze, von Krämpfen geplagt, Gesicht und Haare tri e fend von Schweiß, sah Misty Dinge, die gar nicht zu sehen w a ren. Mit der Hotelserviette säuberte sie sich notdürftig. Mit Wein spülte sie sich den Mund aus. Versuchte die Fliegen wegzuw e deln. Die Ko t ze brannte ihr noch in der Nase. Es wäre dumm, zu dumm, Angel davon zu erzählen. Jedenfalls, die Schatten am Waldsaum bewe g ten sich.
Das Metallgesicht erschien zwischen den Bäumen. Die Statue tat einen Schritt nach vorn, und das furchtbare Gewicht des Bronzefußes senkte sich in den weichen Wi e senboden.
Als Schüler der Kunstakademie kennt man sich mit schlechten Halluzinationen aus. Man weiß, was ein Flas h back ist. Man hat jede Menge Chemikalien geschluckt, die sich im Fettgewebe des Körpers ablagern und, wenn sie von dort wieder in den Blu t kreislauf gelangen, am helllichten Tag schlimme Albträume au s lösen können.
Die Statue tat den nächsten Schritt, und wieder sank der Fuß im Boden ein. Die Sonne machte die Arme an manchen Stellen hel l grün, an anderen Stellen dunkelbraun. Kopf und Schultern w a ren weiß von Vogelscheiße. Die Muskeln der Bronzesche n kel traten im Gehen deutlich hervor. Die Statue kam heran, und bei jedem Schritt verl a gerte sich das bronzene Feigenblatt.
Sie sieht das Aquarell auf Angels Kameratasche, und jetzt ist ihr das alles mehr als peinlich. Apollo, der Gott der Liebe. Misty voll gekotzt und betrunken. Die nackte Seele einer geilen, längst nicht mehr taufrischen Künstl e rin.
Die Statue kommt noch einen Schritt näher. Eine dumme Ha l luzination. Lebensmittelvergiftung. Die Statue nackt. Misty nackt. Beide verdreckt auf der von Bäumen umstandenen Wi e se. Um den Kopf freizubekommen, um das alles zu verscheuchen, fing Misty zu zeichnen an. Versuchte sich zu konzentri e ren. Die Zeichnung stellte nichts dar. Mit geschlossenen Augen bewegte Misty den Bleistift, spürte das Kratzen der Spitze auf dem Aqu a rellpapier, zog gerade Linien und verrieb sie mit der Daume n kante, um schattige Konturen zu erzielen.
Automatisches Schreiben.
Als ihr Bleistift stehen blieb, war Misty fertig. Die Statue war weg. Ihrem Magen ging es besser. Die Schweinerei war so weit getrocknet, dass sie das Schlimmste wegbürsten und die Servie t ten, ihre ruinierte Unterwäsche und die zerknüllten Skizzen ve r graben konnte. Dann kamen auch schon Tabbi und Grace. Sie ha t ten die gesuchte Teetasse, das gesuchte Sahnekännchen oder was auch immer g e funden. Der Wein war ausgetrunken. Misty war angez o gen und roch schon etwas besser.
Tabbi sagte: »Sieh mal. Zum Geburtstag«, und hielt ihr eine Hand hin, an der ein Ring funkelte. Ein rechteckiger grüner Stein, geschliffen wie ein Brillant. »Ein Chrysolith«, sagte Tabbi und streckte die Hand über den Kopf, sodass der Ring die unte r gehe n de Sonne einfing.
Als Misty im Auto einschlief, fragte sie sich noch, wo das Geld herkommen mochte. Grace fuhr über die Division Avenue ins Dorf zurück.
Erst später warf Misty einen Blick auf den Skizzenblock. Und staunte wie alle anderen. Sie fügte dann nur noch ein wenig Fa r be hinzu, Wasserfarbe. Es ist erstaunlich, was das Unterb e wusste hervorzubringen vermag. Etwas aus ihrer Frühzeit, irgendein Bild aus
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