Das letzte Relikt
wollte, dass die Dinge so waren, wie sie vor langer Zeit gewesen waren … bevor sich alles auf so schreckliche Art und Weise aufgelöst hatte.
Je näher er kam, desto mehr schien die Gestalt an Ort und Stelle festzuwachsen. Dunkle Haut, langes Haar, die Gesichtszüge verdeckt durch Farbe und Schlamm, Saft und Staub. Ein lederner Sack hing an einem Arm – eine
Handtasche
, unvermittelt kam ihm dieses Wort in den Sinn.
»Du bist es!«, rief sein Wohltäter erstaunt. Schwankend näherte sich die Gestalt in Schuhen mit hohen Absätzen. Sie legte ihm eine Hand, deren Nägel, wie er bemerkte, in hellem Silber gefärbt waren, auf den Ärmel. »Ich hätte nie gedacht, dass ich dich noch einmal wiedersehe. Zumindest nicht in diesem Leben.«
Bei so vielen Menschen, die es jetzt auf der Welt gab, kam das vielleicht häufig vor.
»Aber dieses Mal wirst du mir nicht so einfach davonkommen. Nicht ohne mir zuerst ein paar Dinge erklärt zu haben.«
»Was … willst du … wissen?« Es war das erste Mal, dass er tatsächlich versuchte, Worte auszusprechen, Worte, die er aus der Luft um sich herum gepflückt hatte. Und jetzt wartete er, ob man ihn verstanden hatte.
»Als Erstes möchte ich wissen, wer du bist.«
Man hatte.
»Oder vielleicht sollte ich lieber fragen,
was
du bist. Letztes Mal, als ich dich sah, hast du geleuchtet wie eine Glühbirne. Jetzt strahlst du nicht mehr so viel Licht ab.«
Er konnte es sich nicht leisten. Es wäre zu töricht. Er beobachtete, wie ein weißes Auto mit blauen Streifen und einem roten Balken auf dem Dach langsam um die Ecke bog.
»Oh shit«, murmelte sein Wohltäter.
Er fühlte sich am Ärmel des Mantels gepackt und in den dunklen Eingang gezerrt, in dem er damals gestanden hatte, um das Feuer zu betrachten.
Das Auto kam näher, und er wurde noch tiefer in den Schatten gezogen, bis zum Ende der Treppe unterhalb des Straßenniveaus. Der Boden war mit dickem Papier und zerbrochenen Flaschen bedeckt, es roch nach Müll … und menschlicher Vereinigung.
»Wir werden hier nur eine Weile warten, bis meine Freunde weg sind.«
Jetzt roch er auch … Furcht.
»Man nennt mich Domino, vielleicht, weil ich so leicht umkippe.« Ein leises Lachen. »Willst du mir sagen, wie man dich nennt?«
Es gefiel ihm hier nicht, und er begann, die Stufen wieder zu erklimmen. Doch Domino packte ihn erneut am Ärmel und sagte: »Die Cops gurken hier immer noch rum. Und überhaupt, wozu die Eile?«
Domino zog ihn dichter zu sich heran. Sie waren etwa gleich groß, und er konnte seinem Wohltäter direkt in die Augen blicken. Sie waren dunkelbraun, mit langen schwarzen Wimpern. Die Brauen waren, wie er jetzt erkannte, bernsteinfarben gefärbt.
»Du schuldest mir noch was.« Dominos Finger spielten mit seinem Mantel. »Ich habe dir schließlich den hier gegeben.« Er spürte, wie die Knöpfe geöffnet wurden. »Ich bitte dich nicht um Geld – es sei denn, du möchtest mir etwas geben. Aber du könntest mir zumindest zeigen, was du darunter trägst.« Der Mantel öffnete sich. »Ich denke immer noch, dass du was ganz Besonderes im Schilde führst.«
Als sich der Mantel weiter öffnete, schwand die Dunkelheit am Fuß der Treppe. Domino lehnte sich zurück, um den Anblick auf sich wirken zu lassen. »Wow, du machst es schon wieder!«
Er sorgte dafür, dass sein Strahlen noch ein wenig heller wurde. Im Licht konnte er Domino deutlicher erkennen als je zuvor. Erkannte das falsche Haar, welches das echte verdeckte, die kräftigen Knochen unter dem Puder und dem Lehm im Gesicht, die sehnigen Arme unter den weichen femininen Kleidern.
Dominos Hand schlich sich ins Innere des Mantels. Berührte ihn.
Unter dem süßen Parfum nahm er den Geruch der Verderbnis wahr.
»Was zum … Teufel«, sagte Domino stockend.
Er breitete die Arme aus, und Domino trat zurück bis an die feuchte Mauer des Kelleraufgangs. Die Handtasche rutschte auf den schmutzbedeckten Boden.
»Heiliger Strohsack …«
Er schüttelte den Mantel von den Schultern und kam näher. Er umarmte Domino, der sich jetzt wehrte.
Was ihn nur dazu brachte, seinen Griff zu verstärken. Er presste den sich windenden und um sich schlagenden Körper an sich. Er konnte die Hitze riechen, die Angst, die Wut. Er umklammerte Domino so fest, dass dieser seine Glieder nicht mehr rühren konnte. Er spürte, wie der Körper nach Luft rang, das Herz wie rasend in der Brust schlug. »Du fragtest nach meinem Namen«, sagte er, während plötzlich ein exakter
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