Das letzte Relikt
zurück, die Hände flach auf den Schreibtisch gelegt. »Biologisch betrachtet muss ich diese Frage bejahen. Aber ich brauche jemandem von Ihrem intellektuellen Kaliber nicht zu erklären, dass biologische Vaterschaft nicht das Wichtigste im Leben ist.«
Eine Sekunde lang konnte Carter ihm nicht folgen.
»Als Paar können Sie immer noch ein Kind haben, indem Sie zum Beispiel eine alternative Quelle für die Samen finden. Wir können ein anderes Mal darüber reden, wenn Sie möchten, sobald Sie Gelegenheit hatten, sich alles in Ruhe zu überlegen. Physiologisch ist Beth immer noch eine erstklassige Kandidatin, um Mutter zu werden.«
Carter spürte, wie sie ihre Hand langsam über die Stuhllehne schob und seine eigene ergriff. Ob seine Hand genauso eisig war wie ihre?
Sie konnten also ein Kind bekommen, oder zumindest Beth konnte eines gebären. Mit dem Sperma eines anderen Mannes? Eines Freundes? Eines Familienmitglieds? Eines anonymen Spenders? Meine Güte, dachte Carter, so viele phantastische Möglichkeiten, wie sollte er sich da bloß für eine entscheiden?
»Ich weiß, dass das keine gute Nachricht ist«, sagte Dr. Weston, »und Sie sollten sich so viel Zeit nehmen, wie Sie brauchen, um alle Optionen in Erwägung zu ziehen. Aber wenn ich Ihnen eines mit auf den Weg geben darf, dann dieses: Sie
haben
Optionen. Wenn Sie eine Familie haben möchten, dann können und werden Sie eine bekommen.«
Sicher,
dachte Carter.
Aber wessen Familie wäre es dann?
Er wusste, dass Dr. Westons abschließende Worte als Ermutigung gedacht waren, aber als er sich jetzt unter all den jungen Leuten in der Cafeteria umschaute, bekamen die Worte einen dumpfen Beiklang. Als er all die jungen Kerle anschaute, kam ihm ein unheimlicher und unwillkommener Gedanke: Jeder von ihnen könnte der Vater seines Kindes werden, jeder von ihnen könnte für seine Frau das tun, was er nicht fertigbrachte. Jeder von ihnen könnte ein Baby zeugen, könnte seine eigenen Gene an die nächste Generation weitergeben. Das war ja auch nicht weiter schwer, aber es war etwas, das er niemals zustande bringen würde. Er wusste, dass diese Gedanken falsch und selbstzerstörerisch waren, aber er konnte nichts dagegen machen. Er kam auch nicht gegen das Gefühl an, dass er jetzt, wo er die Wahrheit kannte, weniger ein Mann sei als noch am Morgen, als er vollkommen ahnungslos aufgestanden war. Er konnte nur hoffen, dass Beth nicht auf gleiche Weise empfand. Denn selbst wenn es so wäre, würde sie es niemals zugeben.
Er legte die Gabel fort und schob das halbaufgegessene Essen beiseite. Selbst von dem Geruch wurde ihm im Moment leicht übel.
Er verließ die Mensa, um nach Hause zu gehen, entschied sich jedoch, im jetzt verwaisten Labor vorbeizuschauen. Er musste seinen Bericht für das Büro des Präsidenten fertigstellen, und er wollte sich vergewissern, dass er an alles gedacht hatte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite blieb er stehen und begutachtete von dort aus das gelbe Polizeiband, das inzwischen an einigen Stellen herunterhing. Die Stahltüren hatten sich unter der intensiven Hitze verdreht und verbogen, und die Außenmauern waren rußgeschwärzt. Erstaunt stellte er fest, dass der Brandgeruch immer noch ziemlich stark war.
Doch dann merkte er, dass der Geruch nicht vom Labor kam. Die Quelle lag wesentlich dichter, rechts hinter ihm. Er drehte sich um und sah eine Art laminierten Ausweis auf dem Beton liegen. Er bückte sich, um ihn aufzuhaben.
Es war der Führerschein eines Mannes, eines jungen Afroamerikaners mit dem Namen Donald Dobkins. An den Rändern war er angesengt, aber das Bild kam ihm vage bekannt vor.
Er blickte in den Kelleraufgang und sah ein Brillenetui, offen und leer.
Hier war der Geruch sogar noch stärker. Und er hörte ein Geräusch, ein leises Rascheln, im Schatten am Fuß der Treppe.
Was ging hier vor? Was war da unten? Konnte es irgendetwas mit dem Brand im Labor zu tun haben? Und wenn ja, wie war das all die Tage unentdeckt geblieben, so nah dabei?
Das Rascheln ertönte erneut, und Carter rief: »Hallo? Ist da unten jemand?«
Keine Antwort.
»Ist da jemand?«
Carter stieg eine Stufe hinunter, und der Brandgeruch, der Geruch nach verbranntem Fleisch, um genau zu sein, wurde noch stärker.
Schließlich konnte er etwas erkennen, einen geschwärzten Haufen, der auf dem Boden lag.
Er stieg noch eine Stufe hinab und sah, dass der Haufen Schuhe trug. Verbrannte, aber deutlich erkennbare Schuhe mit hohen
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