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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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ist wütend. Er will herausfinden, wer der Anrufer war, und auf ihn eindreschen. Und er überlegt, ob sein boshafter Sohn dahinter stecken könnte. Ich lese in Marinos Augen. Er denkt an Rocky. »Unter Regierungsbehörden im Telefonbuch.« Ich schneide in Blutgefäße, durchtrenne die Halsschlagader weit oben, dann di e Darmbeinarterien und die Venen im Becken.
    »Sag bloß nicht, dass Leichenschauhaus in dem verdammten Telefonbuch steht.« Marino geht zur Tagesordnung über. Er gibt mir die Schuld.
    »Ich glaube, wir stehen unter Bestattungen.« Ich schneide durch die dünnen flachen Muskeln des Zwerchfells, lockere den Block der Organe, löse ihn vom Rückgrat. Lunge, Leber, Herz, Nieren und Milz schimmern in unterschiedlichen Rottönen. Ich lege den Block auf das Schneidbrett und wasche ihn vorsichtig mit kaltem Wasser ab. Ich sehe winzige Hämatome, nicht größer als Nadelstiche, verstreut auf dem Herzen und der Lunge. Ich assoziiere das mit Personen, die zum Zeitpunkt ihres Todes Schwierigkeiten mit dem Atmen hatten.
    Terry trägt seine schwarze Tasche zu meinem Tisch und stellt sie auf den Wagen daneben. Er nimmt einen Dentalspiegel und steckt ihn in den Mund des Toten. Wir arbeiten stumm, das Gewicht dessen, was gerade passiert ist, lastet schwer auf uns. Ich lange nach einem größeren Messer und entnehme Organproben, dann schneide ich das Herz auf. Die Koronararterien sind offen und sauber, die linke Herzkammer einen Zentimeter breit, die Herzklappen sind normal. Abgesehen von ein paar Fettstreifen in der Aorta, sind das Herz und die Blutgefässe gesund. Das Einzige, was daran nicht stimmt, ist das Offensichtliche: Es hat aufgehört zu schlagen. Aus irgendeinem Grund hat das Herz dieses Mannes den Dienst quittiert. Ich finde keine Erklärung dafür.
    »Es ist, wie ich sagte, der hier ist einfach«, sagt Terry, während er etwas notiert. Seine Stimme klingt nervös. Er wünscht, er hätte den Hörer nie abgenommen. »Er ist es?«, frage ich ihn. »Allerdings.«
    Die Halsarterien liegen wie Schienen im Nacken. Dazwischen befinden sich die Zunge und Halsmuskeln, die ich herunterklappe und wegschneide, damit ich sie auf dem Bret t genauer betrachten kann. Ich finde keine Hinweise auf Blutungen im tief gelegenen Gewebe. Das winzige, u-förmige Zungenbein ist intakt. Er wurde nicht erdrosselt. Als ich die Kopfhaut zurückschlage, entdecke ich keine darunter verborgenen Quetschungen oder Brüche. Ich stecke eine Stryker-Säge in die Kabeltrommel über mir ein, und mir wird klar, dass ich es allein nicht schaffe. Terry hält den Kopf fest, als ich das kreischende, vibrierende, halbrunde Sägeblatt durch den Schädelknochen drücke. Heißer Knochenstaub schwebt durch die Luft, und die Schädeldecke löst sich mit einem saugenden Laut und entblößt die Windungen des Gehirns. Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung zu sein. Scheiben davon schimmern wie cremefarbener Achat mit gekräuselten grauen Rändern, als ich sie auf dem Brett wasche. Ich konserviere das Gehirn und das Herz in Formalin für weitere Untersuchungen im Medical College of Virginia.
    Heute Morgen kann ich nur diagnostizieren, indem ich ausschließe. Da ich keine offensichtliche pathologische Todesursache gefunden habe, bleibt mir nichts anderes übrig, als auf das leise Geflüster zu horchen. Die winzigen Blutungen im Herzen und in der Lunge, die Verbrennungen und Abschürfungen legen nahe, dass Mitch Barbosa an Stressinduzierter Herzrhythmusstörung gestorben ist. Ich vermute außerdem, dass er zu irgendeinem Zeitpunkt die Luft anhielt oder der Luftfluss behindert war - oder seine Atmung aus irgendeinem Grund so weit zusammenbrach, dass er teilweise erstickte. Vielleicht war der mit Speichel getränkte Knebel schuld. Wie immer die Wahrheit aussieht, das Bild, das ich mir mache, ist einfach und entsetzlich und ruft nach Veranschaulichung. Terry und Marino sind bereit.
    Zuerst schneide ich ein paar Längen von dem dicken weißen Garn ab, mit dem wir normalerweise den Y-Schnitt zunähen. Marino schiebt die Ärmel seines Kittels hoch und streckt die Hände aus. Ich binde ihm um jedes Handgelenk eine Läng e Garn, nicht allzu fest, aber auch nicht locker. Ich weise ihn an, die Arme zu heben, und instruiere Terry, die losen Enden zu fassen und sie nach oben zu ziehen. Terry ist groß genug, um das ohne einen Stuhl oder Schemel bewerkstelligen zu können. Das Garn schneidet sofort in die Innenseiten von Marinos Handgelenken. Wir probieren das in

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