Das letzte Revier
Oberkörper, was zu einem Jogger passt. Er hat keine Tätowierungen, ist beschnitten, und seine gepflegten Finger- und Zehennägel und sein glatt rasiertes Gesicht lassen darauf schließen, dass ihm viel an seiner äußeren Erscheinung lag. Ich finde keine Hinweise auf äußere Verletzungen, und auf den Röntgenaufnahmen waren keine Projektile oder Frakturen zu erkennen. An den Knien und am linken Ellbogen hat er alte Narben, aber keine frischen Wunden, abgesehen von den Abschürfungen, wo er gefesselt und geknebelt war. Was ist dir zugestoßen? Warum bist du gestorben? Er schweigt. Nur Marino spricht auf barsche, laute Art, um zu verbergen, wie beunruhigt er ist. Er hält Stanfield für einen Trottel und behandelt ihn als solchen. Marino ist ungeduldiger, ausfallender als üblich. »Ja, klar, wäre wirklich gut, wenn wir das wüssten«, schreit Marino sarkastisch ins Telefon. »Der Tod kennt keine Feiertage«, fügt er einen Augenblick später hinzu. »Sagen Sie wem immer, dass ich komme, und sie werden mich reinlassen.« Dann: »Ja, ja, ja. Die Jahreszeit. Und, Stanfield, halten Sie den Mund, okay? Haben Sie verstanden? Wenn ich noch einmal in der verdammten Zeitung davon lese. Ach, wirklich? Vielleicht haben Sie die Zeitung von Richmond noch nicht gelesen. Ich werde Ihnen den Artikel von heute Morgen rausreißen. Die ganze Jamestown-Scheiße. Mord aus sexistischen Motiven. Noch ein Wort, und ich raste aus. Sie haben noch nicht erlebt, wie es ist, wenn ic h ausraste, und Sie wollen es auch nicht erleben.«
Marino zieht frische Handschuhe an und kommt zur Bahre zurück, der Kittel flattert um seine Beine. »Es wird noch irrer, Doc. Angenommen, unser Typ hier ist der verschwunden e Jogger, dann scheinen wir es mit einem ganz gewöhnlichen Lastwagenfahrer zu tun zu haben. Keine Vorstrafen. Kein Ärger. Lebte in einer Eigentumswohnung mit seiner Freundin, die ihn nach einem Foto identifiziert hat. Mit ihr hat Stanfield anscheinend gestern spätabends gesprochen, aber heute Morgen geht sie nicht ans Telefon.« Er blickt verloren drein, weiß nicht mehr, was er mir bereits erzählt hat.
»Legen wir ihn auf den Tisch«, sage ich. Ich schiebe die Bahre neben den Seziertisch. Marino nimmt die Füße, ich greife nach einem Arm, dann ziehen wir. Die Leiche kracht gegen Stahl, und Blut tropft aus der Nase. Ich drehe das Wasser auf, und es rauscht in das Stahlbecken, die Röntgenbilder des Toten hängen vor Lichtkästen an der Wand, enthüllen makellose Knochen und den Schädel aus verschiedenen Winkeln und den Reißverschluss der Trainingsjacke, der sich die elegant geschwungenen Rippen hinunterschlängelt. Jemand klingelt an der Einfahrt, als ich mit dem Skalpell von Schulter zu Schulter, dann bis zum Becken hinunter schneide und einen kleinen Umweg um den Nabel mache. Ich sehe Dr. Sam Terrys Bild auf dem Monitor und drücke mit dem Ellbogen auf einen Knopf, um ihm zu öffnen. Er ist einer unserer Odontologen oder forensischen Zahnärzte, der das Pech hat, am 24. Bereitschaftsdienst zu haben. »Ich glaube, wir müssen bei ihr vorbeischauen, während wir in der Gegend sind«, fährt Marino fort. »Ich habe ihre Adresse, die der Freundin. Von der Eigentumswohnung, in der sie leben.« Er blickt auf die Leiche. »Lebten.«
»Und du meinst, dass Stanfield den Mund halten kann?« Ich schlage mit kleinen Stakkatoschnitten des Skalpells Gewebe zurück, halte die Pinzette ungeschickt in den behandschuhten Fingern meiner halb eingegipsten linken Hand. »Ja. Er wird uns beim Motel treffen. Sie waren nicht gerade erfreut, haben geächzt und gestöhnt, weil der vierundzwanzigste ist und sie nicht noch mehr Aufsehen wollen, weil das ihrer Kaschemm e angeblich schadet. Zehn Leute, die in den Nachrichten davon gehört haben, haben angeblich abgesagt. Absoluter Schwachsinn. Die meisten Leute, die in dem Loch absteigen, wissen überhaupt nicht, was dort passiert ist, oder es ist ihnen scheißegal.« Dr. Terry kommt herein, seine abgewetzte schwarze Arzttasche in der Hand. Er trägt einen frischen Chirurgenkittel, den er hinten nicht gebunden hat und der um ihn herumflattert. Er ist unser jüngster und neuester Odontologe und gut zwei Meter groß. Die Legende will es, dass er eine Karriere als Basketballer vor sich hatte, sich aber lieber weiterbilden wollte. Die Wahrheit ist, und er gibt sie auf Nachfrage auch unumwunden zu, dass er ein mittelmäßiger Abwehrspieler im Team der Virginia Commonwealth University war, dass er nur mit
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