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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Doc. Du bist die Einzige, die dieser verdammten Bude ein bisschen Leben einhaucht, wirklich wahr.«
    Ich umarme ihn. Ich reiche ihm gerade bis zur Brust, und sein Bauch steht zwischen unseren Herzen. Er hat seine eigene Mauer um sic h aufgebaut, und ich werde überwältigt von unermesslicher Sympathie für ihn und dem Gefühl, ihn zu brauchen. Ich tätschle seine breite Brust und sage: »Wir arbeiten seit langer Zeit zusammen, Marino. Du bist mich noch nicht los.«

21
     
    Zähne haben ihre eigene Geschichte. Zähne verraten oft mehr über eine Person als Schmuck oder Designerkleidung und können jemanden mit hunderprozentiger Sicherheit identifizieren, vorausgesetzt es gibt Prämortem-Unterlagen zu Vergleichszwecken. Zähne erzählen von Hygienegewohnheiten. Sie flüstern mir Geheimnisse über Drogenmissbrauch zu, während der frühen Kindheit genommene Antibiotika, Krankheiten, Verletzungen und wie wichtig jemandem das äußere Erscheinungsbild war. Sie vertrauen mir an, ob ein Zahnarzt ein Gauner war und der Krankenkasse Arbeiten in Rechnung stellte, die er nie ausgeführt hat. Und sie sagen mir, ob der Zahnarzt kompetent war.
    Am nächsten Morgen vor Tagesanbruch treffe ich Marino vor dem Leichenschauhaus. In der Hand hält er die zahnärztlichen Unterlagen eines Mannes aus dem Jamestown County, der gestern in der Nähe vom Campus der William & Mary joggen ging und nie nach Hause zurückkehrte. Sein Name ist Mitch Barbosa. William & Mary liegt nur ein paar Kilometer entfernt vom Fort James Motel, und als Marino gestern Abend mit Stanfield telefonierte und diese neuesten Informationen erhielt, dachte ich als Erstes: Wie merkwürdig. Marinos verschlagener Anwaltssohn, Rocky Caggiano, studierte an der William & Mary. Ein weiterer unheimlicher Zufall, mit dem das Leben aufwartet.
    Es ist Viertel vor sieben, als ich die Leiche aus dem Röntgenraum zu meiner Station im Autopsiesaal rolle. Wieder ist es sehr still. Es ist der 24. Dezember, und alle staatlichen Einrichtungen sind geschlossen. Marino ist da in Schutzkleidung, und außer dem forensischen Zahnarzt erwarte ich keine weitere lebende Person. Marino soll mir dabei helfen , den starren, unwilligen Körper auszuziehen und ihn auf den Autopsietisch zu heben. Ich würde nie zulassen, dass er mir bei der Autopsie selbst assistiert - und er hat es auch nie angeboten. Ich habe ihn nie gebeten, Notizen zu machen, und werde es auch nicht tun, weil das Gemetzel, das er mit lateinischen Worten und Begriffen anstellt, bemerkenswert ist.
    »Halte ihn auf beiden Seiten«, weise ich Marino an. »Gut. Genau so.«
    Marino hält den Kopf des Toten mit beiden Händen, während ich ihm einen kleinen Meißel seitlich in den Mund und zwischen die Backenzähne schiebe, um die Kiefer auseinander zu zwingen. Ich achte darauf, die Lippen nicht zu verletzen, aber es ist unvermeidlich, dass ich die Oberflächen der hinteren Zähne zerkratze. »Es ist bloß gut, dass die Leute tot sind, wenn du ihnen diesen Scheiß antust«, sagt Marino. »Ich wette, du bist heilfroh, wenn du wieder mit beiden Hände hantieren kannst.«
    »Erinnere mich nicht daran.« Ich habe den Gips so satt, dass ich daran denke, ihn mir selbst mit einer Stryker-Säge runterzuschneiden.
    Die Kiefer des Toten geben nach und öffnen sich. Ich schalte eine chirurgische Lampe ein und leuchte mit dem weißen Licht in seinen Mund. Auf seiner Zunge befinden sich Fasern, die ich einsammle. Marino hilft mir den Rigor mortis in den Armen zu brechen, damit wir ihn aus Jacke und Hemd rauskriegen, und dann ziehe ich ihm Schuhe und Socken und schließlich die Trainingshose und die kurze Laufhose darunter aus. Ich mache Abstriche und finde keine Hinweise auf Verletzungen des Anus, nichts, was homosexuelle Aktivitäten nahe legen würde. Marinos Pager piept. Wieder ist es Stanfield. Marino hat heute Morgen noch kein Wort über Rocky gesagt, aber sein Gespenst schwebt über uns. Rocky erfüllt die Atmosphäre, und die Wirkung, die das auf seinen Vater hat, ist kaum wahrnehmbar, aber umso tiefer. Marino verströmt schwere ohnmächtige Seelenqual wie Körperwärme. Ich sollte mir Sorgen darübe r machen, was Rocky für mich auf Lager hält, aber ich kann nur daran denken, was aus Marino werden wird. Jetzt, da mein Patient nackt vor mir liegt, kann ich mir ein klares Bild von seiner Physis machen. Er ist einen Meter siebzig groß, schlank und wiegt knapp dreiundsechzig Kilo. Er hat muskulöse Beine, aber kaum entwickelte Muskeln am

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