Das letzte Revier
gleiche MO, und in mehreren Fällen hat Chandonne Zettel an den Tatorten zurückgelassen.«
»Daher stammt auch der Name Loup-Garou«, wirft Berger ein. »Diesen Namen schrieb er auch auf eine Schachtel in dem Container, in dem die Leiche gefunden wurde - die Leiche seines Bruders Thomas. Ja«, sage ich, »er begann Zettel zurückzulassen, auf denen er sich als Werwolf bezeichnete, als er dort drüben zu morden begann. Eines Abends stand er vor Dr. Stvans Tür, ohne zu wissen, dass ihr kranker Mann zu Hause war. Er arbeitet abends als Koch, aber an diesem Abend war er unerwarteterweise zu Hause, Gott sei Dank. Dr. Stvan öffnet die Tür, und als Chandonne ihren Mann rufen hört, flüchtet er.«
»Hat sie ihn gut gesehen?«
»Ich glaube nicht.« Ich versuche mich an alles zu erinnern, was Dr. Stvan mir erzählt hat. »Es war dunkel. Sie meinte, dass er ordentlich gekleidet war in einen langen dunklen Mantel , Schal, die Hände in den Taschen. Er sprach höflich, wie ein Gentleman, erzählte ihr, dass er eine Autopanne hätte und telefonieren müsste. Dann merkte er, dass sie nicht allein war, und ist schnellstens abgehauen.« »Ist ihr noch etwas anderes aufgefallen?«
»Sein Geruch. Er roch wie ein nasser Hund.« Daraufhin gibt Berger einen sonderbaren Laut von sich. Allmählich kenne ich ihre subtilen Manierismen, und wenn etwas besonders unheimlich oder widerlich ist, saugt sie die Backen ein und stößt einen leisen, krächzenden Laut aus wie ein Vogel. »Er hat es also auf die Chefpathologin dort abgesehen und dann auf die Chefpathologin hier. Auf Sie«, fügt sie nachdrücklich hinzu. »Warum?« Sie hat sich auf ihrem Sitz halb umgedreht, stützt den Ellbogen auf das Lenkrad und sieht mich an.
»Warum?«, wiederhole ich, als wäre das eine Frage, die ich unmöglich beantworten kann - als wäre es eine Frage, die sie mir nicht stellen sollte. »Vielleicht kann mir das mal jemand erklären.« Wieder spüre ich, wie heiße Wut in mir aufsteigt. »Vorsatz«, erwidert sie. »Geisteskranke Menschen planen ihre Verbrechen nicht so vorsätzlich. Er sucht sich die Gerichtsmedizinerin in Paris aus und dann die in Richmond. Beides Frauen. Beide haben seine Opfer seziert und sind deshalb auf perverse Weise intim vertraut mit ihm. Vielleicht intimer als eine Geliebte, weil sie auf gewisse Weise zugesehen haben. Sie sehen, wo er berührt und gebissen hat. Sie berühren dieselben Körper wie er. Sie sehen, wie er diese Frauen liebte, denn auf diese Weise liebt Chandonne eine Frau.«
»Ein ekelhafter Gedanke.« Ich finde ihre psychologische Interpretation persönlich kränkend.
»Ein Muster. Ein Plan. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Es ist wichtig, dass wir sein Muster verstehen, Kay. Und das ohne persönlichen Widerwillen und ohne persönliche Betroffenheit.« Sie hält einen Augenblick inne. »Sie müssen ih n leidenschaftslos betrachten. Sie können sich keinen Hass leisten.«
»Es ist schwer, jemanden wie ihn nicht zu hassen«, sage ich wahrheitsgemäß.
»Wenn wir jemanden wirklich hassen, ist es schwer, ihm unsere Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, uns für ihn zu interessieren, als ob es die Mühe lohnte, ihn zu verstehen. Wir müssen uns für Chandonne interessieren. Sehr sogar. Sie müssen sich für ihn mehr interessieren als für irgendjemand anders in Ihrem Leben.« Ich stimme mit Berger überein. Ich weiß, dass sie auf eine wesentliche Wahrheit hinweist. Aber ich weigere mich verzweifelt, mich für Chandonne zu interessieren. »Ich habe mich immer auf die Opfer konzentriert«, sage ich. »Ich habe nie Zeit damit verschwendet, mich in die Arschlöcher hineinzuversetzen, die die Täter waren.«
»Aber Sie hatten auch noch nie mit so einem Fall zu tun«, kontert sie. »Sie standen auch noch nie unter Mordverdacht. Ich kann Ihnen aus Ihrem Schlamassel helfen. Und ich brauche Sie, damit Sie mir aus meinem helfen. Helfen Sie mir, Chandonnes Gedanken und Gefühle zu verstehen. Sie dürfen ihn nicht hassen.« Ich sage nichts. Ich will Chandonne nicht mehr von mir geben, als er sich schon genommen hat. Ich spüre Tränen der Wut und der Frustration und blinzle sie fort. »Wie können Sie mir helfen?«, frage ich Berger. »Sie sind hier nicht zuständig. Diane Bray ist nicht Ihr Fall. Sie können sie in den Fall Susan Pless hineinziehen, aber ich muss hier in Richmond gegen eine Jury kämpfen. Vor allem, wenn bestimmte Leute es so aussehen lassen wollen, als hätte ich Bray umgebracht. Als wäre ich
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