Das letzte Revier
Prozessbeginn. Wenn wir ihn überhaupt zu Gesich t bekommen. So ist er, der widerliche Kerl. Treibt sich nur hinter den Kulissen herum.« Wir schweigen beide eine Weile. Sie wartet darauf, dass ich nachgebe. »Meine Meinung oder meine Vermutungen, na gut«, sage ich schließlich. »Die wollen Sie doch hören, oder? Okay.«
»Die will ich hören. Sie würden sich gut an meiner Seite machen.« Damit meint sie, ich würde mich gut als zweite Staatsanwältin machen, als Partnerin während des Prozesses. Entweder hat sie gerade ein Kompliment gemacht, oder die Bemerkung war ironisch gemeint.
»Diane Bray hatte eine Freundin, die ziemlich oft bei ihr vorbeischaute.« Ich überschreite die Grenzen meines Zuständigkeitsbereichs. Ich spekuliere. »Detective Anderson. Sie war von Bray besessen. Und Bray hat sie anscheinend schikaniert. Ich halte es für möglich, dass Chandonne Bray beobachtete und Informationen sammelte. Er sah, dass Anderson kam und ging. Am Abend des Mordes wartete er, bis Anderson gegangen war« - ich starre auf Brays Haus - »ging sofort zur Tür, schraubte die Glühbirne aus der Lampe darüber und klopfte. Bray nahm an, dass es Anderson war, die zurückgekommen war, um sich weiter zu streiten oder sich zu entschuldigen oder was auch immer.«
»Weil sie gestritten hatten. Das taten sie häufig«, nimmt Berger den Faden auf.
»Allem Anschein nach war es eine turbulente Beziehung«, begebe ich mich tiefer auf verbotenes Gelände. Dieser Teil der Ermittlungen geht mich eigentlich nichts an, aber ich mache weiter. »Anderson war auch in der Vergangenheit davon gestürmt und zurückgekehrt.«
»Sie waren dabei, als Anderson nach dem Fund der Leiche vernommen wurde.« Berger weiß Bescheid. Jemand hat es ihr erzählt. Marino wahrscheinlich. »Ja, ich war dabei.«
»Und an diesem Abend aßen sie in Brays Haus Pizza un d tranken Bier?«
»Sie fingen an zu streiten - zumindest laut Anderson. Anderson ist wutentbrannt gegangen, und kurz darauf hat es an der Tür geklopft. Auf die gleiche Art, wie Anderson immer klopfte. Er machte ihr Klopfen nach, so wie er die Polizei imitierte, als er zu mir kam.«
»Machen Sie es mir vor.« Berger sieht mich an. Ich klopfe dreimal hart auf die Konsole zwischen uns. »So hat Anderson immer geklopft? Sie hat nicht geklingelt?«, fragt Berger.
»Sie kennen Polizisten gut genug, um zu wissen, dass sie nur selten klingeln. Sie haben normalerweise in Gegenden zu tun, in denen die Klingeln nicht funktionieren, wenn es überhaupt welche gibt.«
»Interessant ist, dass Anderson nicht zurückkam«, sagt sie. »Was wäre gewesen, wenn sie zurückgekehrt wäre? Glauben Sie, dass Chandonne irgendwie wusste, dass sie an diesem Abend nicht wiederkommen würde?«
»Das habe ich mich auch schon gefragt.«
»Vielleicht ist ihm irgendwas an ihrem Verhalten aufgefallen, als sie ging. Oder vielleicht war er so außer Kontrolle, dass er sich nicht bremsen konnte«, sagt Berger. »Oder vielleicht war seine Lust größer als seine Angst, gestört zu werden.«
»Er könnte etwas anderes Wichtiges beobachtet haben«, sage ich.
»Anderson hatte keinen Schlüssel zu Brays Haus. Bray hat sie immer eingelassen.«
»Ja, aber die Tür war nicht verschlossen, als Anderson am nächsten Morgen vorbeikam und die Leiche fand, richtig?«
»Das heißt nicht, dass sie nicht verschlossen war, als er Bray ermordete. Er hat ein Geschlossen-Schild in die Tür gehängt und den Laden zugesperrt, als er Kim Luong umbrachte.«
»Aber wir wissen nicht mit Gewissheit, dass er die Tür hinte r sich absperrte, nachdem er sich Zugang zu Brays Haus verschafft hatte«, sagt Berger. » Ich weiß es jedenfalls nicht.«
»Vielleicht hat er nicht zugesperrt«, fährt Berger fort. »Er hat sich ins Haus gedrängt, und die Jagd beginnt. Die Tür ist die ganze Zeit, in der er ihren Körper im Schlafzimmer schändet, nicht abgeschlossen.«
»Das würde bedeuten, dass er außer Kontrolle war und große Risiken einging«, sage ich.
»Hmm. Die Richtung außer Kontrolle möchte ich nicht einschlagen.« Berger scheint mit sich selbst zu sprechen. »Außer Kontrolle ist nicht das Gleiche wie geisteskrank«, erinnere ich sie. »Alle Menschen, die morden, sind außer Kontrolle, außer sie handeln aus Notwehr.«
»Ah. Touche.« Sie nickt. »Bray macht also die Tür auf, das Licht brennt nicht, und er steht im Dunkeln.«
»So war es auch bei Dr. Stvan in Paris«, sage ich. »Er hat auch in Frankreich Frauen ermordet, der
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