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Das letzte Riff

Das letzte Riff

Titel: Das letzte Riff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
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legte die Feder zur Seite. In langen sieben Wochen hatten sie den Atlantik überquert und ihren Weg zu den Inseln gefunden. Die alte
Hyperion
hatte damals die gleiche Reise in vier Wochen zurückgelegt, zu genau der gleichen Jahreszeit. Keen war sicherlich froh, das angesteuerte Ziel erreicht zu haben, aber wahrscheinlich auch bedrückt über die lange Reisedauer und über das, was auf dem Schiff noch immer nicht klappte.
    Vielleicht würden die trügerische Ruhe der Karibik und die Wärme manches verbessern, was die schwer mitgenommenen Männer bisher nicht geschafft hatten. Der Atlantik hatte sich ihnen von seiner schlimmsten Seite gezeigt, wie es Bolitho in seiner langen Zeit auf See noch nicht erlebt hatte: lange, peitschende Stürme, in denen die Männer fast an den Rahen festfroren, wenn sie mit der vereisten Leinwand kämpften, bis ihre Fäuste aufgerissen waren. Schlechtwetter hatte sie hundert Meilen vom Kurs abgetrieben, und als der Wind dann plötzlich umsprang und endlich zum Passat wurde, war selbst der erfahrene Master Julyan verblüfft.
    Kanonendrill war während der Reise meist unmöglich gewesen. Keen konnte seine Männer nur essen und ausruhen lassen, ehe der Atlantik wieder mit neuer Wut über sie herfiel. Aber er hatte nicht eine einzige Spiere und keinen weiteren Mann verloren.
    »Ich komme nach oben, Stephen.« Bolitho sah auf seinen nicht beendeten Brief nieder und dachte an Falmouth, das in den letzten Wochen genauso wie sie unter Sturm, Regen und vielleicht Schnee gelitten haben mußte. Catherine würde sich fragen, wo sein Schiff jetzt stand und ob er sicher ankommen würde. Und wann er sein erstes Gefecht erlebte: Fragen, die nur die Zeit beantworten konnte.
    Jenour sah sich in der großen Kajüte um, die er nun so gut kannte. Während der langen Reise von England hatte er alle Gedanken an einen Abschied von Bolitho verdrängt. Die Stürme, der betäubende Lärm der Seen, die gegen den Rumpf anrannten und übers Deck fegten, bis jeder Schritt oben lebensgefährlich war, die Gesichter der erschöpften Männer, die von einer Arbeit zur anderen gehetzt wurden, ließen für Zukunftsgedanken keinen Platz. Aber jetzt war das anders. Vor dem tanzenden Bugsprit lag English Harbour und bedeutete Ordnung, Autorität. Jeder Tag konnte jetzt seine Beförderung bringen.
    Jenour sah, wie Bolitho wieder sein Augenlid berührte. Das tat er jetzt immer häufiger. Das Geheimnis war bei ihm sicher aufgehoben, aber wer würde Bolitho und seine Art je wieder so gut verstehen, wenn er seinen langjährigen Flaggleutnant verlor? Er war sogar Zeuge von Bolithos heimlichen Treffen mit Lady Catherine gewesen, damals hier in Antigua.
    »Warum so nachdenklich, Stephen?«
    »Ich glaube, das wissen Sie, Sir Richard.«
    Wieder faßte sich Bolitho ans Auge. Ihm war aufgefallen, daß Jenour nach den Erfahrungen auf der
Golden Plover
und dem Schiffbruch nicht mehr errötete, wenn man seine heimlichen Gedanken erriet. Ein ganzer Mann also, einer, der Belastungen erkannte und anderen sein Mitgefühl nicht versagte.
    Bolitho trat auf die Heckgalerie und sah unten die Seen heranrollen, aber jetzt müder, als habe sie das Austoben ihrer Wut besänftigt. Er sagte: »Es muß sein, Stephen. Aber das heißt nicht, daß es mir gleichgültig ist, ganz im Gegenteil. Das wissen Sie doch.«
    Sie gingen an Deck, wo Keen und ein paar seiner Offiziere das sich nähernde Land vor dem Bug beobachteten: grün verwaschen, noch im Dunst.
    Bolitho wußte, daß die Ruhe immer noch gefährlich war. Jeder erfahrene Kommandant mißtraute zu dieser Jahreszeit der See hier. Im Handumdrehen konnte sich Totenflaute in rasenden Sturm verwandeln.
    Keen kam quer über das Deck auf ihn zu. »Wir machen kaum Fahrt, Sir.« Sie sahen beide hoch in die riesigen, glänzenden Segel, die in der schwachen Brise nur müde flappten – kaum genug, um das Schiff zu bewegen. Pützen voll Seewasser wurden auf die Topprahen gehievt, die Leute leerten sie über die Segel aus, um sie härter zu machen und so auch den kleinsten Windhauch einfangen zu können. Die Wache schoß Leinen auf und sicherte Fallen nach dem letzten Über-Stag-Gehen. In der heißen Sonne bewegten sie sich langsam und reagierten auf Kommandos später, als ein Kommandant sich wünschen konnte.
    Bolitho nahm ein Teleskop aus dem Gestell und stellte es scharf auf die nächste Landspitze ein. Bei seiner letzten Überfahrt war der geisteskranke Kapitän Haven Kommandant seines Flaggschiffs gewesen. Der war

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