Das letzte Riff
Hiebe!«
Keen wirkte plötzlich bedrückt. »Also gut, Mr. Sedgemore.« Er sah in die locker hängenden Segel. »Es scheint, wir haben momentan sowieso nichts Besseres zu tun.«
Bolitho ging zum Niedergang. Er hatte in den Gesichtern einiger neuer Leute Ablehnung, ja Haß gesehen. Waren das Männer, denen man demnächst befehlen konnte, bis zum Tod zu kämpfen? Schwer vorstellbar.
»Ich gehe unter Deck, Val. Halten Sie mich auf dem Laufenden«, sagte er.
Keen stand neben Bolithos Flaggoffizier, während der Bootsmann und seine Gehilfen das Aufriggen einer Gräting an Backbord überwachten. Besorgt sagte Jenour: »Sir Richard scheint etwas bedrückt zu sein, Sir.«
Keen sah den Bootsmann den roten Beutel mit der neunschwänzigen Katze prüfen. »Er sehnt sich nach der Frau seines Herzens, Stephen. Und der Seemann in ihm versucht die Probleme zu lösen, vor die sein Kommando ihn hier stellt.« Er sah auf zum Wimpel des Vizeadmirals, der sich am Fockmast nur müde bewegte. »Manchmal frage ich mich …« Er unterbrach sich, als Sedgemore um Erlaubnis bat, alle Mann an Deck rufen zu lassen.
Keen nickte ihm kurz sein Einverständnis zu, und die Pfeifen trillerten von Deck zu Deck: »Alle Mann, alle Mann! Antreten als Zeugen für eine Bestrafung!«
Bolitho, der nach unten ging, fühlte mit Keen, wie unangenehm ihm diese Maßnahme war. Aber Keen hatte ein Schiff zu führen und die Mannschaft zusammenzuhalten, da mußte er eine Bestrafung genauso gerecht und fair vollziehen lassen wie eine Belohnung oder Beförderung. Unten wartete Yovell auf Bolitho mit einem Stapel Papiere, die er unterzeichnen sollte. Aber er lehnte ab. »Später, mein Freund. Ich habe gerade Niedrigwasser.«
Als der pummelige Sekretär die Kajüte verlassen hatte, trat Allday ein. »Wie wär’s mit etwas Gesellschaft, Sir Richard?« Bolitho lächelte. »Du bist frech und stur. Aber nimm Platz, wir trinken etwas zusammen.«
Allday grinste beruhigt. Es würde schon alles wieder in die Reihe kommen mit Sir Richard, auch wenn es etwas länger dauerte.
Die Peitschenhiebe waren bis in die Achterkajüte zu hören.
Allday dachte über Bolitho nach. Eine schöne Frau, der Admiralsrang und ein Adelstitel vom König. Doch manches blieb sich immer gleich, auch Bolithos Abneigung gegen die Peitsche. Ozzard trat mit einem Tablett ein: Weißwein und ein kleiner Krug Rum.
Als Bolitho sich vorbeugte, um sein Glas vom Tablett zu nehmen, entdeckte Ozzard wieder das Medaillon auf seiner Brust. Er hatte es sich schon einige Male angesehen, wenn der Vizeadmiral sich wusch oder rasierte. Ihre schönen Schultern, die Andeutung ihrer Brüste – genauso hatte er sie damals in der Kajüte der
Golden Plover
gesehen. Wieder knallte die Peitsche, aber Ozzard fühlte kein Mitleid. Der Mann, der da bestraft wurde, hatte sein Messer gegen einen Kameraden gezückt. In vier Wochen würde er mit den Narben auf seinem Rücken angeben. Aber meine Wunden werden nie heilen, dachte Ozzard.
Gegen Ende der Nachmittagswache, als die Sonne glühend rot hinter Antigua unterging, glitt die
Black Prince
langsam auf ihren Ankerplatz. Keen sah, wie Bolitho ein Teleskop nahm, die Küste absuchte und dann die anderen Ankerlieger betrachtete, deren Riggs im schwindenden Sonnenlicht kupfern glänzten. Er war froh, daß Bolitho wieder der alte zu sein schien, ohne eine Spur von Sorge im Gesicht.
Bolitho studierte die am nächsten ankernden Kriegsschiffe sehr genau. Alle Vierundsiebziger, und keiner war ihm unbekannt. Sie gehörten jetzt zu seinem Geschwader, erwarteten aber sicherlich einen anderen Oberbefehlshaber.
Auferstanden von den Toten … Bolitho sagte: »Ich werde an Land gehen und Lord Sutcliffe begrüßen, Val, sobald wir geankert haben.« Er drehte sich überrascht um, als ein erster Salutschuß krachte und auf der stillen Reede widerhallte.
»Die haben zuerst Salut gefeuert, Sir Richard. Das wird Admiral Lord Sutcliffe aber gar nicht gefallen.«
Keen gab das Zeichen, und die erste Kanone auf dem Oberdeck der
Black Prince
antwortete. Der helle Pulverrauch hing wie festgeklebt tief über dem Wasser.
»Großsegel bergen! Schicken Sie ein paar zusätzliche Männer nach oben, Mr. Sedgemore.« Keen trat an den Kompaß. Nach der Trägheit auf den letzten, schier endlosen Meilen summte das Schiff plötzlich vor Leben.
Bolitho erkannte den Vierundsiebziger, der ihnen am nächsten lag: die alte
Glorious,
die wie die meisten anderen mit ihm in Kopenhagen gewesen war, als er von der
Weitere Kostenlose Bücher