Das letzte Riff
überrascht: »Und ich?«
Bolitho antwortete ruhig: »Verlaß dich ganz auf mich.«
Zwei Seesoldaten öffneten das Portal, und sie traten in eine große Halle. Damals war sie voller lächelnder, verlogener Gesichter gewesen, voller Damen mit tiefen Ausschnitten und glitzernden Juwelen, voll strahlendem Licht. Obwohl es jetzt Morgen war und der Hafen draußen im Sonnenlicht leuchtete, erinnerte ihn alles an jene Nacht.
Ein nervöser schwarzer Diener verbeugte sich vor ihnen und führte sie durch eine nahe Tür.
Bolitho murmelte: »Sie werden mir helfen müssen, Stephen. Der Admiral kann nicht sehr gut sehen – jedes bißchen Licht schmerzt ihn. Verstehen Sie?«
»Er macht es nicht mehr lange, Sir Richard. Syphilis im dritten Stadium«, kommentierte Jenour trocken.
Bolitho fragte sich, woher der junge Leutnant das wohl wußte. Sein Vater war zwar Apotheker und sein Onkel ein bekannter Arzt in Southampton, aber hatte Jenour sein Wissen von ihnen?
Als die Tür sich öffnete, traten sie in vollständige Dunkelheit. Doch als Bolitho die Augen anstrengte, fand er einen Schimmer Licht zwischen zwei Vorhängen und erkannte auch den Raum wieder. Hier hatte Catherine seine Augenverletzung entdeckt, weil er nicht in der Lage gewesen war, die Farbe ihres Haarbandes zu erkennen. Ihm kam es vor wie gestern.
»Nehmen Sie Platz, Sir Richard.« Die Stimme kam von irgendwo, klang aber überraschend stark und gereizt.
Bolitho fühlte Jenours Hand an seinem Ellbogen. Die Erkenntnis, wie hilflos er im Dunkeln war, machte ihn ärgerlich und mutlos.
»Es tut mir leid, Sie so begrüßen zu müssen!« Doch der Ton der Stimme besagte das Gegenteil.
Bolitho fand einen Stuhl und nahm Platz. In einem Spalt Licht sah er den Umriß des Mannes. »Mir tut es leid, daß Sie indisponiert sind, Mylord.«
Stille. Bolitho nahm jetzt einen sauren Geruch wahr, den Gestank von schmutzigem Leinen.
»Ich kenne natürlich Ihren Ruf und Ihre Familiengeschichte und fühle mich geehrt, daß Sie hierher geschickt wurden, mich abzulösen.«
»Davon weiß ich nichts, Mylord. Niemand in England hat von Ihrem …«
»Mißgeschick. Niemand in England hat von meinem Mißgeschick erfahren. Das wollten Sie doch sagen.«
»Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, Mylord.«
»Nein, nein, natürlich nicht. Noch befehle ich hier. Meine Befehle gelten bis …« Er unterbrach sich, weil Husten ihn schüttelte.
Bolitho wartete und sagte dann: »Ohne Zweifel kennen die Franzosen unsere Absicht, Martinique anzugreifen. Ohne diese Insel könnten sie in der Karibik nicht mehr militärisch operieren. Mein Befehl lautet, den Feind zu schlagen, ehe er seine Schiffe sammeln kann. Dazu brauchen wir alle Kräfte.« Hoffnungslos. Es war, als rede er gegen eine Wand. Natürlich hatte Sutcliffe hier noch den Oberbefehl, selbst als Kranker, als Verrückter oder was auch immer. Bolitho fuhr fort: »Darf ich vorschlagen, daß Sie nach Rückkehr der
Thybalt
einen schnellen Schoner nach Jamaika schicken und den dortigen Admiral um weitere Verstärkung bitten?«
Sutcliffe räusperte sich laut. »Konteradmiral Herrick veranlaßte die Beschlagnahme der Schoner. Er ist ja ein Spezialist in Insubordination. Ich habe die Absicht, Ihre Lordschaften von allen weiteren Eigenmächtigkeiten und Übertretungen zu informieren. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Bolitho antwortete leise: »Das klingt wie eine Drohung, Mylord.«
»Nein, wie ein Versprechen.«
Jenour bewegte sich, und sofort fanden ihn die körperlosen Augen. »Wer ist da? Haben Sie einen Zeugen mitgebracht?«
»Mein Flaggleutnant.«
»Verstehe.« Sutcliffe lachte leise. In dem dunklen Raum wirkte das wie eine kalte Dusche. »Ich kannte Viscount Somervell gut, als er Seiner Majestät Generalinspekteur in Westindien war und ich auf Barbados. Ein Mann von Ehre. Aber dem werden Sie sicherlich nicht zustimmen, Sir Richard.«
Bolitho faßte sich ans Auge, wilde Gedanken wirbelten durch seinen Kopf. Sutcliffe war zwar verrückt, aber doch nicht so verrückt, daß er nicht Schläge austeilen konnte.
»Sie haben recht, Mylord. Ich stimme dem in der Tat nicht zu.« Jetzt war er zu allem entschlossen. »Ich kannte ihn als Schurken, als Lügner und als Mann, der nur aus Freude tötet.«
Er hörte, wie der Admiral sich in ein Becken erbrach, und preßte vor Ekel die Fäuste zusammen. Du lieber Himmel, waren dies die Früchte der Sünde, vor denen sie der alte Pfarrer in Falmouth als Kinder gewarnt hatte? War dies Gottes Strafe?
Als
Weitere Kostenlose Bücher