Das letzte Riff
Rücken des letzten Meuterers zog, sagte er wild: »Geh zu deinem Beutel, du Hund!« Damit stieß er ihn über Bord.
Cuppage trieb schnell davon; seine Arme bewegten sich noch schwach, dann versank er.
Heiser sagte Keen: »Gut gemacht, Allday!«
Aber die Brigg band noch mehr Reffs ein und hielt weiter auf die treibende Jolle zu. Allday sah Bolitho an und die Frau neben ihm. »Zu spät, Sir. Dieser verdammte Meuterer. Ohne ihn hätten wir’s geschafft.«
Bolitho maß die schöne grüne Insel mit den Augen. So nahe – und doch Millionen Meilen entfernt.
Im Geist hörte er wieder Catherines Stimme: Verlaß mich nicht.
Aber er hatte versagt.
Die Kirche in Falmouth, König Charles dem Märtyrer geweiht, hatte selten eine so gemischte Gemeinde in ihren Mauern gesehen. Die große Orgel spielte leise, während sich die Bänke mit Menschen unterschiedlichster Herkunft füllten. Es saßen dort der Gouverneur von Pendennis Castle und einfache Landarbeiter mit schmutzigen, abgetretenen Schuhen. Sie waren ohne Umweg vom Feld in die Kirche gekommen. Viele standen auch draußen auf dem Kopfsteinpflaster und sahen neugierig zu, wer alles kam, oder hingen ihren Erinnerungen nach an den Mann, dessen Leben und Verdienste heute gewürdigt werden sollten. Kein Fremder, kein ferner Held, von dem sie nur gelesen oder gehört hatten, sondern einer ihrer eigenen Nachbarn.
Der Gemeindepfarrer war sich der Bedeutung dieses Gottesdienstes wohl bewußt. Natürlich würde es in London einen größeren Gedenkgottesdienst geben, mit viel Pomp und all dem, was die Marine für solche Fälle an Zeremonien zu bieten hatte. Aber hier war Sir Richard zu Hause gewesen, hier waren auch seine Vorfahren ein- und ausgegangen. Jetzt erinnerten nur noch Inschriften an den Wänden an ihre historischen Taten.
Die Grafschaft war wie betäubt, seit sich die Nachricht von Sir Richards Tod verbreitet und man erfahren hatte, wie er gestorben war. Natürlich gab es immer noch unverbesserlich Hoffende, weil dieser Mann so viel Charisma gehabt hatte. In einer Schlacht zu fallen, war endgültig. Doch auf See bei einem Schiffbruch zu Tode zu kommen … Das wollte niemand so recht begreifen, auch wenn viele Schiffe in der Carrick-Reede halbmast geflaggt hatten.
Der Gemeindepfarrer schaute auf die helle Marmorbüste von Kapitän Julius Bolitho, der 1664 gefallen war. Die Inschrift schien für alle Männer der Familie Bolitho zu gelten:
Der Geist eurer Väter wird auferstehen aus jeder Woge. Denn das Deck war ihr Feld der Ehre und der Ozean ihr Grab.
Der Gottesdienst heute würde jede Hoffnung endgültig beenden.
Der Pfarrer sah Squire Roxby seine Frau Nancy in die Familienbank geleiten. Roxby schaute verbissen drein, doch er behandelte seine Frau, Bolithos jüngere Schwester, mit solcher Fürsorglichkeit, wie man sie bei diesem strengen Bezirksrichter, einem der reichsten Männer der Grafschaft, sonst nicht kannte. Der »König von Cornwall«, wie man ihn gelegentlich nannte, hatte also auch seine weichen und menschlichen Seiten.
Kapitän Keens schöne junge Witwe saß zwischen den Schwestern ihres Mannes, die von Hampshire her angereist waren. Der Mann der einen war vor einem Jahr ebenfalls auf See geblieben.
Ein bedrücktes älteres Ehepaar war mit der Postkutsche von Southampton angereist: Leutnant Jenours Eltern.
In einer anderen Bank saßen die Männer und Frauen, die auf dem Gut für Sir Richard gearbeitet hatten. Bryan Ferguson hielt die Hand seiner Frau und starrte unentwegt auf den Altar. Er hatte wohl plötzlich entdeckt, welch innere Kraft seine Frau besaß, und wußte, sie würde ihn heute durch diesen schweren Tag geleiten.
Erinnerungen überfielen Ferguson an das Kommen und Gehen in all den Jahren im Grauen Haus. Er hatte an allem teilgenommen, war als Verwalter sogar ein wichtiger Teil davon gewesen, von Bolitho mit seinem ganzen Vertrauen ausgezeichnet. Er strich sich mit einer Hand über die feuchten Augen. Armer alter Allday – er würde nicht mehr spinnen und kein Schlückchen Rum mehr trinken nach all den langen Reisen.
Ferguson schaute sich um und entdeckte Lady Belinda neben einer anderen Dame. Ihr weißes Gesicht und das rötliche Haar paßten gut zu dem ernsten Schwarz. Ein paar Leute verneigten sich vor ihr – aus Mitleid oder nur aus Respekt? Squire Roxby würde für alle auf seinem Landsitz einen Empfang geben.
Hinterher.
Dieser Gedanke trieb Ferguson wieder die Tränen in die Augen. Er biß sich auf die Lippen.
Auch Bolithos
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