Das letzte Riff
saß an der Pinne, einen Arm auf dem Dollbord, als sei er ein Stück des Bootes. Vor ihm bronzefarbene Gesichter, einige mit schwer verbrannter Haut. Männer, die sonst penibel auf Disziplin und Sauberkeit hielten, trugen jetzt Bartstoppeln und Haar, das so verklebt war wie ihr eigenes.
»Die Sonne geht auf!« Jenour konnte seine Gefühle kaum verbergen. »Und da haben wir das Riff!«
Fremd aussehende Möwen kreisten über ihnen, ihre Flügel leuchteten sehr weiß, während die Jolle noch im Schatten lag. Allday meinte zu Ozzard: »Na, eine von denen im Pott würde uns jetzt sogar schmecken!«
Der Matrose Cuppage zupfte sich das dreckige Hemd vom Körper und starrte verblüfft in die Ferne, wo sich das erste Morgenlicht wie in einem Spiegel fing. Jenour bemerkte Cuppages Verblüffung, drehte sich um und rief: »Ein Schiff, Sir!«
Bolitho schaute übers Heck achteraus und fühlte, wie er sich ungläubig und enttäuscht verspannte. Laut befahl er: »Stopp alle! Segel bergen!«
Ohne Riemen und stabilisierendes Segel stieg und fiel die Jolle rollend in der Dünung.
»Eine Brigg, Sir. Alle Segel sind gesetzt«, sagte Keen heiser. Catherine musterte die fernen Masten und ihre bleichen, bauchigen Segel. »Ein britisches Schiff, Val?«
Keen studierte noch einmal die Segelpyramide. »Ich fürchte, nein.«
Allday murmelte: »Vielleicht sieht er uns nicht. Wir liegen tief im Wasser.«
Ozzard kletterte nach vorn und bot der kranken Sophie einen Becher Brandy an. »Trinken Sie das, Miss, es weckt die Lebensgeister.«
Sie sah ihn über den Rand des Bechers an. »Was sollen wir bloß machen?«
Ozzard antwortete nicht; er schaute nur zurück und sah, wie die beiden Masten der Brigg sich umeinander zu drehen schienen und die Segel wie verwirrt schlugen, während das Schiff durch den Wind ging und nun mit dem Bug auf sie wies.
»Segel setzen und an die Riemen«, befahl Bolitho. »Die Brigg wird es nicht wagen, durch das Riff zu gehen.«
Ein dumpfer Knall. Im nächsten Augenblick schlug die Kugel hinter der Jolle ins Wasser, die nur langsam Fahrt aufnahm.
Tojohn riß mit aller Kraft an seinem Riemen und knirschte: »Das kann der Hund sich wirklich sparen!«
Catherine kletterte neben Yovell auf eine Ducht und half ihm pullen; ihre nackten Füße stemmten sich schmerzhaft gegen den Bootsboden. Wieder fiel ein Schuß. Diesmal sprang die Kugel über das Wasser wie ein wild gewordener Delphin und warf zuletzt eine dünner Wassersäule hoch.
Cuppage war ein großer Mann, aber er bewegte sich jetzt schnell wie der Blitz. Er ließ seinen Riemen fahren, sprang zum Bug, legte Sophie einen Arm um den Hals, zog sie an sich und drückte ihr eine gespannte Pistole an die Schläfe. Das Mädchen starrte mit vor Schreck geweiteten Augen Bolitho an.
»Was soll das, Mann? Laß sie los!«
»Was das soll?« Cuppage zuckte zusammen, als ein dritter Kanonenschuß das Wasser aufwarf. »Ich werde es Ihnen sagen. Der Skipper dieser Brigg will mit uns reden – oder er bringt uns um. Er braucht nur einmal zu treffen!« Er stieg durch das Boot und zerrte das halb erstickte Mädchen hinter sich her.
»Ich dachte mir, daß du zu den Bastarden gehörst!« rief Owen. »Ich hab’ dich in der Gruppe beim Bootsmann gesehen!«
Cuppage ignorierte ihn und fletschte die Zähne. »Eine Bewegung, und ich schieß’ ihr in den Kopf!«
Kalt sah Bolitho ihn an. Er war geschlagen. Ob der Skipper des Sklavenschiffs Cuppage glauben würde, war völlig bedeutungslos.
Auf der Brigg hatte man erkannt, was in der Jolle geschah.
Segel wurden gerefft, sie hielt sich gut klar vom Riff.
»Du wechselst mal wieder die Seiten, Freundchen?« fragte Allday ruhig. »Vergiß aber deinen Beutel nicht!«
Cuppage drehte sich um und sah, daß Ozzard den Beutel übers Wasser hielt.
Allday fuhr fort: »Kein Gold, keine Hoffnung – jedenfalls nicht für dich, Freundchen. Man wird dir dein Garn nicht glauben und dich zusammen mit uns umbringen!«
»Gib mir das Gold, du Hund!« brüllte Cuppage.
»Fang ihn!« Ozzard warf ihm den Beutel zu. Cuppage schrie vor Wut auf, als der Beutel an seiner ausgestreckten Hand vorbeiflog und ins Wasser fiel.
Aufspringend rief Allday Catherine zu: »Nicht hinsehen!« Im Sonnenlicht blitzte das geworfene Messer auf. Cuppage sank über das Dollbord, während Tojohns und Owen Sophie in Sicherheit zogen. Allday bewegte sich ungeheuer schnell. Er erreichte Cuppage, als der sich keuchend wieder aufrichten wollte. Während er das Messer aus dem
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