Das Letzte Ritual
Durchführung der Formel benötigt man Körperteile. Du kannst dir bestimmt denken, welche.«
»Augen«, sagte Dóra mit fester Überzeugung.
Matthias nickte. »Aber warte noch. Harald war total aufgeregt, als Páll ihm von der Formel erzählt hat, und wollte eine genaue Anweisung haben, wie man sie ausführen muss. Páll hat ihm das alles am Telefon erklärt und ihm dann eine Kopie des Zauberbuchs und der Handschrift geschickt.«
»Ja. Und?«, murmelte Dóra ungeduldig.
»Es funktioniert so: Derjenige, der sich rächen möchte, muss einen Vertrag mit einer zweiten Person abschließen, die den Zauber nach seinem Tod ausführt. So ähnlich wie bei der Leichenhose. Die beiden müssen die Rune gemeinsam auf ein Stück Pergament schreiben. Und zwar mit ihrem eigenen Blut, vermischt mit dem Blut eines Raben. Man braucht mehr als nur ein paar Tropfen, denn unter die Rune muss man schreiben, dass X verspricht, den Zauber für Y durchzuführen, und dann müssen X und Y das Ganze mit ihrer Unterschrift besiegeln.« Matthias nahm einen Schluck Kaffee. »Jetzt kommt die Hauptsache. Wenn Y stirbt, muss X die Rune in die Leiche ritzen, ihr eine größere Menge Blut entnehmen und – sehr appetitlich – die Augen herausschneiden.«
»Igitt«, sagte Dóra und schüttelte sich. »Warum ist es denn nicht genug, mit Blut zu schreiben?«
Matthias grinste. »Die Rune muss in die Leiche geritzt werden, um den Verstorbenen daran zu erinnern, dass seine Augen auf eigenen Wunsch entfernt werden. Sonst kommt er aus dem Grab und sucht nach ihnen – und wahrscheinlich auch nach seinem Freund, um ihn umzubringen. Mit dem Blut aus der Leiche muss die dazugehörige Beschwörungsformel geschrieben werden, ebenfalls mit dem Blut eines Raben vermischt.«
»Das Sperlingsblut!«, fiel ihm Dóra ins Wort. »Der Rabe ist der größte Sperlingsvogel Islands.«
»Tja, diesmal muss allerdings nicht das Blut des lebenden Vertragspartners hinzugefügt werden. Die Augen werden in das Pergament mit der Beschwörungsformel gewickelt und der Person übergeben, an der man sich rächen will. Von diesem Zeitpunkt an ist sie ausgeliefert. Der Tote verfolgt sie und erinnert sie ständig an ihre Missetaten, bis sie immer schwächer wird und einen schrecklichen Tod stirbt.«
»Und das ist die Beschwörungsformel, die Haralds Mutter per Post bekommen hat«, sagte Dóra betrübt. Das war ja wirklich widerwärtig. Warum hatte Harald seine Mutter so sehr gehasst? Was hatte die Frau ihm angetan? Vielleicht hatte er sich das alles ja auch nur eingebildet; vielleicht war er einfach verrückt und machte seine Mutter für seine Probleme verantwortlich. »Warte mal – hat sie auch die Augen zugeschickt bekommen?«
»Nein«, sagte Matthias. »Die waren nicht dabei. Ich hab keine Ahnung, wieso. Vielleicht gingen sie verloren oder waren kaputt; ich weiß es nicht.«
Dóra saß eine Weile grübelnd da. »Halldór, der Medizinstudent. Natürlich hat er die Leiche so zugerichtet«, sagte sie. »Er hat Harald umgebracht.«
»Sieht ganz so aus«, entgegnete Matthias. »Es sei denn, Harald hat sich selbst umgebracht und Halldór hat den Rest erledigt.«
»Wie soll denn das gehen?«, fragte Dóra. »Harald wurde erwürgt.«
»Vielleicht bei diesen Würgespielen? Wir können das jedenfalls nicht ausschließen. Es kann auch jemand anders den Vertrag mit Harald abgeschlossen haben. Die Studenten haben ja alle gleich scheinheilig getan, als wir ihnen die magische Rune gezeigt haben. Genau genommen käme auch Hugi in Frage.«
»Wir müssen unbedingt noch mal mit Halldór sprechen. Oder am besten mit allen. Wer weiß, ob wir sie noch einmal dazu überreden können.«
Matthias lächelte Dóra zu. »Jedenfalls sind wir nicht völlig auf dem falschen Dampfer. Wir sind ein gutes Stück vorangekommen. Das Einzige, was noch unklar ist, ist die Sache mit dem Geld. Was ist damit passiert?«
Dóra zuckte die Achseln. »Vielleicht hat Harald die dunkle Handschrift damit gekauft. Das würde mich nicht wundern.«
Matthias dachte eine Weile über ihre Worte nach. »Kann sein. Ich bezweifle es aber. Die Handschrift ist im Besitz der Königlich Norwegischen Bibliothek. Das ist auch der Grund, warum die Polizei nichts über die Rune herausgefunden hat. Sie ist kaum bekannt, eigentlich kennt sie hierzulande niemand, außer eben Páll, der im Ausland ist. Deshalb wurde er nie dazu befragt.«
»Aber vielleicht hat Harald das Geld ins Land geholt, weil er diesem Páll das Zauberbuch abkaufen
Weitere Kostenlose Bücher