Das letzte Sakrament
Roboter nun abspielte. Der Roboter wiederholte seine Aussage ein paar Mal, als wolle er Pandera hypnotisieren. Doch der Kommissar hatte es schon beim ersten Mal verstanden. Die Wahl war auf Schiff zwei gefallen, auf die Voyager nach Dubai .
62
Professor Wismut blickte in den dunklen Nachthimmel. Der Wind trieb die Wolken vor sich her wie ein Hirtenhund seine Schafe. Doch die Schafe waren nicht weiß, sondern tiefschwarz und regengeschwängert. Wismut knöpfte seinen Mantel zu, ließ seinen Blick über die Reling in die Tiefe schweifen und seine Gedanken mit den Wellen umherschaukeln. Wie konnte man ein Schiff nur Atlantis nennen? Atlantis, die sagenumwobene mythische Insel, mächtig, unermesslich reich und geheimnisvoll. Doch leider auch mit einem Schönheitsfehler: Sie war im Meer versunken. Da hätten sie den Kahn ja gleich Titanic taufen können.
Doch vom Namen einmal abgesehen, Wismut gefiel die MS Atlantis besser, als er gedacht hatte. Denn obwohl er jedes Detail seiner Flucht schon lange im Voraus geplant hatte, war er unsicher gewesen, ob ihn das Leben auf einem Kreuzfahrtschiff nicht schon nach kurzer Zeit langweilen würde. Oder ihm gar unerträglich wäre. Ein einziges Versteckspiel auf einem selbst gewählten Luxus-Gefängnis, aus dem er nicht ausbrechen konnte.
Doch das war nicht der Fall. Im Gegenteil, er hatte sich sogar schon ein wenig eingelebt. Und das, obwohl er sich bisher fast nur in seiner Kabine aufgehalten hatte. Um nicht aufzufallen, hatte er sogar die Mahlzeiten dort eingenommen. Er wollte sich nicht von irgendwelchen belanglosen Tischgesprächen stören lassen. Er hasste Smalltalk, und er hasste dieses angeberische Getue der Halb- und Viertelgebildeten, die sich über die große weite Welt unterhielten, ohne diese je studiert zu haben. Außerdem barg jeder Kontakt zu anderen eine potenzielle Gefahr für sich. Die Story hatte weltweit eingeschlagen, und so könnten ihn einige Passagiere aus dem Fernsehen kennen. Vor allen Dingen, wenn sie ihn zusammen mit dem Jungen sahen.
Natürlich hatte er Vorkehrungen getroffen und schon am Tag der Sendung begonnen, sich einen Bart wachsen zu lassen. Außerdem hatte er seine randlose Brille gegen Kontaktlinsen ausgetauscht und sein blondes Haar in seinen natürlichen grauen Zustand zurückversetzt.
Bisher hatte er fast nur mit seinem indonesischen Kabinenboy Ken gesprochen. Dieser brachte ihm die Mahlzeiten ins Zimmer, ab und an einen Kaffee sowie morgens eine an Bord gedruckte Tageszeitung. Darüber hinaus hatte er nur noch Kontakt mit der Kinderanimatorin Sunny, die den kleinen Jesus jeden Morgen freudestrahlend entgegennahm.
Tagsüber verließ Wismut nur die Kabine, solange das Zimmermädchen dort arbeitete. Zum Glück war die Bibliothek um diese Zeit meist leer. Wenn er sich die anderen Passagiere so anschaute, war das wahrscheinlich nicht nur morgens der Fall. Abends, wenn der Junge eingeschlafen war und die meisten Gäste in ihren Kojen lagen, begann für den Professor das Leben auf dem Schiff. Dann ging er auf das Oberdeck, stellte sich an die Reling und ließ sich die Meeresluft durch die grauen Haare streichen. Er mochte die Nacht auf See. Besonders dann, wenn er alleine war.
Wie heute Nacht. Selbst der aufkommende Sturm konnte ihn nicht vertreiben. Sein Blick war so fest auf die unruhigen Wellen gerichtet, als sei er hypnotisiert. Die tänzelnden Schaumkronen halfen ihm nachzudenken, brachten seine Synapsen in Schwung. Je länger er an der Reling stand, desto intensiver wurden seine Gedanken und desto mehr zweifelte er daran, dass er wirklich das Richtige getan hatte.
Auch wenn er durch und durch Atheist war, beneidete er die Gläubigen doch um eines: Für sie ging das Leben nach dem Tod erst richtig los. Zumindest konnte ein Moslem, Buddhist oder Christ sich mit dieser Aussicht trösten. Doch die meisten Menschen, die sich als gläubig bezeichneten, glaubten gar nicht an ein Leben nach dem Tod. Aber aus welchem Grund sollte man all die Regeln und Beschränkungen, die jeder Glauben mit sich brachte, denn auf sich nehmen, wenn nicht für die Vorstellung vom ewigen Leben?
Jeder, der ernsthaft glaubte, was in der Bibel stand, musste den Tod doch als Erlösung begreifen, zumindest wenn er die Zahl seiner Sünden im überschaubaren Rahmen gehalten hatte.
Für ihn hingegen war der Tod alles andere als eine Erlösung. Und das nicht nur, weil er gesündigt hatte. Er war sich sicher, dass nach dem Tod nichts kommen und nichts von einem bleiben
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