Das letzte Sakrament
würde.
Absolut nichts.
Deswegen hatte er Angst vor dem Tod. Und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Natürlich hätte er sich klonen können, doch es ergab keinen Sinn. Ein Bewusstsein konnte man nicht transferieren, das hatte selbst der Papst erkannt. Man konnte nur ein neues formen.
Und genau das hatte er vor. Nur nicht bei sich selbst.
Wieso maßte die katholische Kirche sich an, ihm Moral zu predigen? Hatten die Männer der Kirche in der Vergangenheit nicht selbst schon Schlechtes getan, um das Gute zu bewahren? Waren die Ziele der Kirche manches Mal nicht sogar hinterhältig gewesen, verächtlich und intrigant?
Und hatte dieser Priester im Jesuitenkolleg ihm damals nicht eindrücklich gezeigt, dass er kein besserer Mensch war als alle anderen, vielleicht sogar ein schlechterer?
Auch wenn die Vergangenheit ihn bedrückte, an seinen Zielen zweifelte er nicht. Sie würden der Menschheit helfen, endlich erwachsen zu werden. Genau darum ging es. Dafür mussten Opfer gebracht werden, so schwer es ihm auch fiel.
Wismut rieb sich über den Bart und sah zum Himmel hinauf. Die Wolken zogen sich immer dichter zusammen. Der Wind war kalt geworden. Ein Unwetter zog auf, so heftig, als sei es vom unnachgiebigen Gott des Alten Testaments befohlen worden. Wismut war weder gläubig noch abergläubisch, aber er hoffte trotzdem, dass der Sturm kein Zeichen war.
63
Wer immer die Chaostheorie begründet hatte, der wusste nichts über Italien. Zumindest nicht während eines Streiks der Fluglotsen. Nicht nur am Flughafen Fiumicino herrschte Stop and no go , auch an vielen Taxiständen und auf den Autobahnen Richtung Mailand und Neapel, deren Flughäfen nicht bestreikt wurden. Es ging das Gerücht, dass es am besten sei, die Stadt per Zug zu verlassen.
Als Alex Pandera den Bahnhof Roma Termini betrat, hatte er den Eindruck, dass die italienischen Staatsbahnen dieses Gerücht gestreut hatten, um ihre Zugkapazitäten mal bis auf den letzten Quadratzentimeter ausnützen zu können. Roma Termini, das waren zurückgelassene Gepäckwagen, verwirrte Rentner, schreiende Kinder und Geschäftsmänner, die verzweifelt versuchten, ihren Trolley durch die Menge zu schleusen.
Kommissar Pandera hatte geplant, eine halbe Stunde vor Abfahrt seines Zuges am Bahnhof anzukommen, für einen Mann mit spanischem Blut in den Adern also ausgesprochen früh. Der unvermeidliche Stau auf dem Weg dorthin hatte von der halben Stunde nur fünf Minuten übrig gelassen.
Pandera kämpfte sich zu einem Ticketautomaten vor und gab als Zielort Palermo ein. Der Automat bediente ihn so langsam, als steckte in der Blechkiste die geballte Power eines Commodore C64.
Palermo war Panderas letzte Chance, das Kreuzfahrtschiff noch zu erreichen. Verpasste er den Zug, war es zu spät, den Professor noch abzufangen. Natürlich hatte Pandera versucht, einen Mietwagen zu bekommen, aber die waren aufgrund des Streiks alle ausgebucht. Und jene Taxifahrer, die bereit waren, in den Süden zu fahren, verlangten mehr dafür, als ihre Rumpelkiste wert war. Natürlich hätte Pandera auch die Kollegen von der italienischen Polizei fragen können, aber er wollte sie lieber nicht dabei haben. Besser, er hatte freie Hand.
Und Wismuts Reise würde sicher nicht bis zur letzten Station der Kreuzfahrt gehen. Kurt Sander war aufgefallen, dass alle drei Kreuzfahrten, die Wismut markiert hatte, moslemische Länder anfuhren. Daher vermutete er, der Wissenschaftler würde mit dem Jesusklon in einem solchen Land untertauchen. Zum einen würde der Junge dort aufgrund seiner Hautfarbe nicht auffallen, zum anderen wäre das Thema schneller wieder aus den Schlagzeilen verschwunden, und es wäre einfacher, unentdeckt zu bleiben.
Fast zwölf Stunden in einer klapprigen Eisenbahn zu sitzen, klang zwar nicht gerade verlockend, aber Punkt zwanzig Uhr legte das Kreuzfahrtschiff in Palermo ab, mit oder ohne ihn. Wenn er diesen Zug verpasste, dann ohne ihn. Pandera blickte auf seine Armbanduhr. Er hatte vor dem Automaten schon drei Minuten vergeudet, und jetzt erst fiel der Kiste ein, dass man ein Ticket für Palermo nur am Schalter kaufen könne.
Er schaute sich um, die Schlange am Schalter war viel zu lang, und er hatte nur noch zwei Minuten bis zur Abfahrt des Zuges. Er musste hoffen, dass dieser nicht pünktlich abfuhr, dafür aber in Palermo pünktlich ankam. Eigentlich kannte er das nur andersherum.
Pandera nahm seine Reisetasche und rannte los. Wenn er sich recht erinnerte, war er das
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