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Das letzte Theorem

Das letzte Theorem

Titel: Das letzte Theorem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pohl Clarke
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ausgesprochen und waren einer Meinung. Wenn Ranjit irgendeinen obskuren Philosophen des 20. Jahrhunderts mit den Worten zitierte: »Der Teufel hat alle Religionen erfunden, um Gott vor den Menschen zu verbergen«, konterte sie: »Die größte Tragödie in der Menschheitsgeschichte ist vielleicht die Tatsache, dass die Kirche das Monopol über die Moral für sich beansprucht. Die Kirche versteht nichts von Moral. Sie glaubt, Moral würde durch den Willen einer nicht existierenden Person definiert.«
    Myra wusste aber auch, wie gern Ranjit den alten Mönch hatte. Um ihn ein bisschen abzulenken, und weil ihr auf Anhieb nichts Besseres einfiel, fragte sie: »Hast du gesehen, was Robert gemacht hat, als Surash hier reinkam?«
    Verdutzt blinzelte er sie an. »Nein - Moment, lass mich nachdenken. Er spielte mit einem seiner kleinen Laubsägepuzzles, richtig?«
    »So klein ist dieses Puzzle gar nicht. Robert hat fünfhundert Teile auf den Küchenboden verteilt. Und dann hat er etwas sehr Interessantes gemacht.«

    An diesem Punkt hielt sie inne und lächelte. Ranjit schluckte den Köder. »Willst du mir nicht verraten, was genau er getan hat?«
    »Ich möchte es dir lieber zeigen. Lass uns in sein Zimmer gehen.« Sie sagte nichts mehr, bis sie da waren. Robert, der vor seinem Fernseher saß und sich einen Tierfilm anschaute, blickte hoch und strahlte seine Eltern an. »Robert, mein Schatz«, sagte seine Mutter, »zeig deinem Dad doch mal deine Pentominos.«
     
    Ranjit war nicht sonderlich überrascht, dass sein Sohn sich für Pentominos interessierte. Im Alter von fünf oder sechs Jahren war er selbst von ihnen fasziniert gewesen, und er hatte als Erster versucht, Roberts Interesse daran zu wecken. Geduldig hatte er ihm erklärt, was man mit den kleinen Quadraten alles anstellen konnte: »Du weißt doch, wie ein Domino aussieht, nicht wahr? Das sind zwei aneinandergesetzte Quadrate. Wenn man drei Quadrate zusammensetzt, nennt man das ein Trimino, und es kann zwei verschiedene Formen annehmen. Eine sieht aus wie ein großes I , die andere wie ein großes L . Verstehst du, was ich meine?«
    Mit ernster Miene beobachtete Robert, wie sein Vater versuchte, ihm das Gesagte auf einem Blatt Papier zu veranschaulichen, doch er gab nicht zu erkennen, ob er das Ganze überhaupt begriff. Trotzdem fuhr Ranjit mit seinen Erklärungen fort. »Wenn man vier Quadrate zusammenfügt, nennt man das ein Tetromino, und es kann fünf unterschiedliche Formen haben …«
    Mit flinker Hand zeichnete er folgende Bilder:
    »Rotationen und Reflexionen zählen nicht«, fügte er hinzu und musste dann erläutern, was man unter Rotationen und Reflexionen
verstand. »Keine der Tetrominoformen ist besonders aufregend, aber wenn man fünf Quadrate zusammensetzt, passiert schon eine ganze Menge.« Er erklärte, dass es zwölf unterschiedliche Möglichkeiten gab, Pentominos herzustellen, und dazu brauchte man insgesamt sechzig Quadrate.
    Daraus ergab sich sofort die Frage: Konnte man eine Fläche aus sechzig Quadraten - zum Beispiel ein Rechteck von fünf mal zwölf Quadraten oder ein langes, schmales Band, dessen eine Seite aus zwei, die andere aus dreißig Quadraten bestand - vollständig mit sämtlichen Pentominos bedecken, ohne dass ein einziges Quadrat übrig blieb?
    Die Antwort - die den fünf Jahre alten Ranjit fasziniert hatte - lautete, dass dies nicht nur möglich war, sondern dass man es mit nicht weniger als 3719 Kombinationen schaffen konnte! Ein Rechteck mit den Seitenlängen von sechs mal zehn Quadraten ließ sich auf 2339 verschiedene Weisen abdecken, für eines mit den Seitenlängen von fünf mal zwölf Quadraten gab es 1010 Wege und so weiter …
    Wie viel von seinen Erklärungen der freundlich lächelnde Robert verstanden hatte, vermochte Ranjit nicht zu sagen. Doch dann schaltete der Kleine seinen Lerncomputer ein und rief ein bestimmtes Programm auf. Sofort rollte eine Folge von verschiedenen Pentominobildern ab - sämtliche Kombinationsmöglichkeiten, Flächen mit Quadraten abzudecken.
    Ranjit war erschrocken und entzückt zugleich. Der »behinderte« Robert hatte jedes einzelne Pentominomuster identifiziert - eine Aufgabe, an der Ranjit damals verzweifelt war, und die er nie zu Ende geführt hatte. »Das - das ist ja großartig, Robert«, stotterte er und wollte Robert umarmen.
    Doch mitten in der Bewegung hielt er inne und starrte fassungslos auf den Monitor.
    Die Abfolge der Pentominomuster war beendet. Ranjit hatte erwartet, dass sich

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