Das letzte Theorem
zehndimensionalen Raumzeit zusammenhingen, setzten sich ihre Reisen aus einer Reihe von Sprüngen zusammen; von a nach b, dann von b nach c, und von c aus ging es vielleicht in einer geraden Linie an ihren Bestimmungsort. Für jeden Sprung betrug die Transitzeit jedoch null, egal, ob die zurückgelegte Strecke dem Durchmesser eines Protons entsprach oder vom Zentrum der Galaxis bis zu ihrem am weitesten entfernten Spiralarm reichte.
Deshalb unternahmen sie den lästigen Schritt, ein Fragment von sich abzuspalten, das dann die Instruktionen zu den Anderthalben brachte; und infolgedessen erhielten die Anderthalben ihren Marschbefehl beinahe in demselben Moment, als die Großen Galaktiker sich entschlossen, ihn zu erteilen. Und weil die Anderthalben mit dieser Entscheidung gerechnet hatten, waren sie bei Eintreffen der Order schon einsatzbereit.
Die Anderthalben sahen keinen Grund, noch länger zu warten. Ihre Invasionsarmada war klar zum Start. Und es ging los.
Allerdings besaßen die Anderthalben einen durch und durch stofflichen Körper und waren deshalb den Gesetzen der Lichtgeschwindigkeit unterworfen. Nach menschlichen Maßstäben würde ungefähr eine Generation vergehen, ehe die Armada ihr Ziel erreichen und die unerwünschte Spezies ausrotten konnte.
Aber sie war unterwegs.
6
Was unterdessen auf der Erde geschieht
Für Rajit Subramanian liefen die Dinge besser - bis auf die Tatsache, dass Gamini immer noch neuntausend Kilometer weit weg war und Ranjits eigener Vater genauso entfernt hätte sein können. Im Irak heizte sich die Situation wieder auf, wo christliche Muskelprotze mit Sturmgewehren das Ende einer Brücke bewachten, damit Islamisten sie nicht überqueren konnten; am anderen Ende hatten sich ähnlich rauflustige und gut bewaffnete Islamisten postiert, die nicht wollten, dass Christen ihre Seite des Flusses mit ihrer Anwesenheit beschmutzten.
Es gab noch viel mehr Brennpunkte auf der Welt, die alle nicht dazu beitrugen, dass Ranjit sich vorübergehend glücklich fühlte.
Doch Faktoren, die zu seinem Glück beitrugen, existierten. Ihm gefiel nicht nur der Astronomiekurs 101, er glänzte sogar in dem Fach. Seine schlechtesten Testergebnisse brachten ihm immer noch über achtzig Punkte ein, und das Wohlwollen seines Dozenten (gemessen an dem Lob, mit dem er Ranjits Fragen und Beiträge zum Unterricht bedachte) war vielleicht noch höher anzusetzen. Allerdings fand Dr. Vorhulst immer einen Anlass, um fast jeden Einzelnen seiner Studenten zu loben. Nicht weil er ein nachsichtiger oder oberflächlicher Lehrer gewesen wäre, entschied Ranjid. Höchstwahrscheinlich lag es daran, dass jeder, der seinen Kursus belegt hatte, fasziniert war von der Vorstellung, dass irgendwann einmal Menschen aufbrechen würden, um diese bizarren anderen Welten zu besuchen. Als Ranjit zum dritten Mal bei einem Test hundert
Punkte erreichte, kam ihm zum ersten Mal der Gedanke, dass er vielleicht doch das Zeug dazu hätte, ein Student zu werden, auf den sein Vater stolz sein konnte.
Um das auszuprobieren, bemühte er sich, seine übrigen Kurse ein bisschen ernster zu nehmen. Sein Philosophieprofessor hatte eine Liste mit Büchern zusammengestellt, die über die Pflichtlektüre hinausgingen, und er suchte sich ein Buch aus, das zumindest einen interessanten Titel trug. Doch nachdem er sich Thomas Hobbes’ großes Werk Leviathan ausgeliehen hatte und zu lesen anfing, erlahmte sein Interesse ziemlich rasch. Behauptete Hobbes doch, der menschliche Verstand funktioniere wie eine Maschine? Ranjit war sich nicht sicher. Ebensowenig begriff er den Unterschied zwischen meritum congrui und meritum condigni . Und obwohl er fest davon überzeugt war zu wissen, was Hobbes meinte, wenn er einen »christlichen Staat« als die ideale Regierungsform pries, so übte diese Erkenntnis auf einen eingefleischten Agnostiker wie Ranjit Subramanian, dessen Vater als Oberster Priester eines Hindutempels fungierte, jedoch nicht die geringste Wirkung aus. Im Übrigen erschien ihm nichts von dem, was Hobbes schrieb, einen Bezug zum Leben der Menschen zu haben, die Ranjit kannte. Verdrießlich brachte er das Buch in die Bibliothek zurück und verzog sich in sein Zimmer, um dort ungestört eine Stunde lang ein Nickerchen zu halten.
Er fand zwei Briefe vor. Einer steckte in einem dicken weichen Umschlag mit dem erhabenen goldenen Siegel der Universität. Wahrscheinlich eine Benachrichtigung von der Buchhaltung, dachte Ranjit, um ihn zu informieren,
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