Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
umdrehte und weiterlief.
Lucas stieß einen tiefen Seufzer aus und folgte ihm. Während sie liefen, starrte er ständig auf Linus’ Rücken und staunte, wie muskulös und tief gebräunt er war, obwohl er doch mehrere Monate in einer Höhle zugebracht hatte. Er bewegte sich so lautlos wie ein Tier bei der Jagd, Augen und Ohren in höchster Alarmbereitschaft. Lucas beobachtete an Linus etwas, was auch er gelernt hatte, einen Zustand ständiger Wachsamkeit, ständiger Bereitschaft zum Kampf oder zur Flucht. Wahrscheinlich konnte Linus genau vorhersagen, was passieren würde, noch bevor die beteiligten Personen selbst es wussten. Vielleicht hatte er sogar gewusst, dass Lucas kommen würde; vielleicht war er deshalb nicht überrascht gewesen.
Endlich blieb Linus stehen. Er stand im Eingang zu einer weiteren Höhle. Lucas sah ihn befremdet an. »Wir sind der Küste noch keinen Schritt näher.«
»Nein«, stimmte Linus zu. »Aber von hier aus gelangen wir sicher hin.«
Er betrat die Höhle, holte eine Taschenlampe hervor und richtete den Strahl auf die gegenüberliegende Seite. Lucas sah etwas, irgendeine Spiegelung, doch als sie näher kamen, erkannte er, was es war. Etwas, was er noch nie gesehen hatte. Etwas, von dem er bislang nur gehört hatte und was er nur von Zeichnungen kannte.
»Ein Auto«, sagte er. Mit offenem Mund ging er um das Fahrzeug herum, berührte es und bekam einen regelrechten Adrenalinschub, als er die glänzende Oberfläche der schimmernden Karosserie fühlte. Kein Vergleich zu den Lkw, die die Polizeigarde außerhalb der Stadt benutzte, oder zu den alten Fahrzeugen in Base Camp. Das war ein blitzblankes, offenbar ganz neues Auto, das nur dem Fahrspaß dienen sollte und nicht dem praktischen Nutzen. »Ein richtiges Auto.«
»Und auch nicht irgendein altes Auto.« Linus grinste. Offenbar freute er sich über Lucas’ Reaktion. »Das ist erste Sahne. Hat damals eine schöne Stange Geld gekostet. Aber für mich ist es heute viel mehr wert.«
Er drückte mit der Hand gegen eine der Türen, und das Schloss sprang auf. »Steig ein«, sagte er und deutete auf den Beifahrersitz.
»Aber wie willst du … hast du überhaupt Benzin?«
»Der Tank ist voll. Und ich habe mir noch mehr besorgt. Natürlich nur für den Notfall. Aber ich glaube, das ist ein Notfall, oder was meinst du?«
Lucas nickte. Er war zu beeindruckt, um antworten zu können. Stattdessen öffnete er die Beifahrertür und stieg ein. Er seufzte unwillkürlich vor Entzücken, als er sich auf das weiche cremefarbene Leder sinken ließ.
»Wie hast du … ich meine, wie lange hast du … Wie ist das möglich?«, flüsterte er.
»Ich habe es gefunden«, sagte Linus und startete den Motor. »Ist sie nicht wunderschön? Irgendwer hat sie einfach stehen lassen. Der Schlüssel hat noch gesteckt, als ob sie nur auf mich gewartet hätte. Es ist schon eine ganze Weile her, seit ich das letzte Mal gefahren bin, und ich will nicht, dass das alte Mädchen Kratzer bekommt. Also, sei bitte so gut und stell keine Fragen mehr. Ich muss mich konzentrieren …«
Lucas nickte und langsam rollte der Wagen rückwärts zum Eingang der Höhle und bog um die Ecke. Lucas betätigte einen Hebel, bedachte Lucas abermals mit einem Lächeln und drückte das Gaspedal durch. »Genieß die Fahrt«, sagte er und fuhr los. Der Wagen schien über die herumliegenden Steine regelrecht hinwegzugleiten. »Willkommen zur Fahrt im Mercedes.«
17
»Du hast meinen Sohn getötet! Meinen kleinen Jungen! Willst du mich auch töten? Dann tu es! Tu es gleich und töte auch mein Baby. Du bist böse. Du wirst in der Hölle schmoren für das, was du getan hast. Du wirst …«
Devil drehte sich um und ging, lief, rannte. Er wusste, es war ein Fehler gewesen, in die Siedlung zurückzukommen. Er war den ganzen Morgen weg gewesen, hatte gewartet, bis alles erledigt, bis alles beseitigt war, und gegen vier hatte er sich sicher genug gefühlt, um zurückzukommen. Aber sie wartete schon auf ihn, genau an der Stelle, wo ihr dummer Sohn vom Balkon gesprungen war.
»Ich habe ihm gesagt, er ist böse«, schrie die Mutter des Jungen ihm hinterher. »Ich habe ihm gesagt, es ist alles seine Schuld. Deshalb hat er sich umgebracht. Aber es war nicht seine Schuld. Es war deine Schuld. Gott wird dich finden und dich bestrafen, und …«
Devil war außer Atem, doch er lief trotzdem weiter, als hinge sein Leben davon ab. Sie war verrückt. Er musste weg, weit weg. Er hasste dieses Dreckloch. Er
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