Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
Polizei Fragen gestellt hatte, hatte Devil erfahren, dass sein Vater ein Doppelleben führte, dass Pastor Jones nur einer seiner Decknamen und die Church of Good Faith nur eines seiner kleinen Imperien war. Devil hatte sich damals gefragt, ob er in seinen anderen Heimatorten wohl auch einen Lexus fuhr. Jedenfalls hoffte er es. Damit er wenigstens irgendetwas über den Mann wusste, der sein Vater war, der abgehauen war und der, wie sich herausgestellt hatte, nicht der Mensch war, den Devil zu kennen glaubte. Er fuhr gern einen Lexus. Das war immerhin etwas. Sonst wusste er nichts von ihm.
Wegen des Lexus hatte sein Dad ihn das erste Mal geschlagen. Devil war damals vier. Er war so aufgeregt gewesen, weil er mit zur Kirche fahren durfte, auf dem Rücksitz, wie ein Erwachsener, wie sein Vater. Er hatte den Wagen nicht ruinieren wollen, hatte nicht riskieren wollen, rausgeworfen zu werden, deshalb hatte er nichts gesagt, als er pinkeln musste, hatte es verhalten und gewartet. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Vater einen Telefonanruf bekommen, wütend werden und in den Hörer brüllen würde. Devil war es vorgekommen wie Stunden und schließlich hatte er dem Drang nachgegeben und direkt auf den Ledersitz gepinkelt.
Jahre später, als sein Vater ihn endlich wieder im Auto mitnahm, hatte er ihm im Lexus private Predigten gehalten, Lektionen, die Devil bis heute nicht vergessen hatte, die ihm seine Identität und seine Entschlossenheit verliehen. »Mein Sohn, es gibt zwei Sorten von Menschen auf dieser Welt – die Besitzenden und die Besitzlosen. Die Anführer und die Anhänger. Die Starken und die Schwachen. Die Gewinner und die Verlierer. Die Leute in meiner Kirche sind die Verlierer. Sie brauchen mich. Man muss ihnen sagen, wie sie sich die Schuhe zu binden haben, wann sie essen, wann sie scheißen und wann sie beten sollen. Das alles tue ich für sie, mein Sohn. Deshalb geben sie mir ihr Geld. Ich zeige ihnen den Weg. Ich gebe ihnen, was sie brauchen. Und deshalb fahre ich diesen Wagen. Weil ich ihn verdiene. Nicht Gott. Ich. Gott tut nichts für die Menschen, das ist die Wahrheit. Und du darfst hier mit mir sitzen und die Fahrt genießen, aber es ist nicht dein Auto, sondern meins. Wenn du selbst einmal so einen Wagen haben willst, dann musst du zu den Besitzenden, zu den Gewinnern gehören. Verstehst du?«
Mit zehn hatte Devil diesen kleinen Vortrag zum ersten Mal gehört. Der starke nigerianische Akzent seines Vaters hatte sich ihm tief in die Seele gebrannt. Und er hatte ihn laut und deutlich gehört.
»Also«, hatte sein Vater mit einem Lächeln gesagt, »das ist jetzt unser kleines Geheimnis, was, Junge? Ich muss dir noch eine Menge beibringen, mein Sohn. Und du musst noch viel lernen. Du hörst mir zu und ich werde dich unterrichten. Aber wenn du irgendjemandem auch nur ein Sterbenswörtchen von dem verrätst, was ich dir sage, wirst du erfahren, was Schmerz bedeutet. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Devil hatte genickt, wie jedes Mal, wenn sein Vater genau das sagte. Devil hielt Wort und sagte niemandem etwas, und schließlich hörte sein Vater auf zu drohen. Stattdessen hielt er an den Lektionen fest. Dabei kam er immer wieder auf das Auto zu sprechen. »Autos machen Leute«, lautete einer seiner Lieblingssprüche.
Einen Tag, nachdem sein Vater ihm zum zweiundvierzigsten Mal eine Lektion erteilt hatte, war die Polizei aufgetaucht, hatte den Wagen beschlagnahmt und ihnen das Haus weggenommen. Die Polizeibeamten wollten auch seinen Vater mitnehmen, aber der hatte sich bereits in der Nacht aus dem Staub gemacht und sich in ein anderes Zuhause, in ein anderes Leben geflüchtet.
Und als Devil und seine Familie ein paar Tage später in die Vorstadtsiedlung umziehen mussten, hatte er erkannt, dass sein Vater mit allem recht gehabt hatte. Er war allen anderen immer einen Schritt voraus. So musste es im Leben sein: allen anderen einen Schritt voraus sein, am Steuer sitzen, sich von nichts und niemandem aufhalten lassen. Weder sein Dad noch das Geld wurden je gefunden, es war mit ihm verschwunden, wohin auch immer er sich geflüchtet hatte. Wie sich später herausstellte, war das Haus nur gemietet und der Wagen noch nicht abbezahlt. Selbst die Heiratsurkunde seiner Mutter war nicht echt.
Devil beugte sich etwas vor. Das alles war jetzt Vergangenheit. Das alles war irrelevant. Ir-re-le-vant. Das Wort der Woche. Soll heißen, dass es bedeutungslos war. Das beruhigte ihn. Nichts bedeutete mehr etwas.
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