Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
einen riesigen Waldbrand, der so lange wüten würde, bis nichts mehr übrig war. Und ihm war klar, dass alle, die dem Feuer im Weg waren, sterben würden, es war nur eine Frage der Zeit. Es war klar, dass es zu Ende ging, es fragte sich nur, auf welche Weise: ob alle starben oder ob ein paar Menschen übrig blieben und ob es unter mehr oder weniger großen Qualen vor sich gehen würde.
Es war nur ein Interview gewesen. Das übliche Interview mit dem Premierminister nach einem traumatischen Ereignis, in dem er die jüngsten Gräueltaten verurteilte und wo er erklärte, dass die Völker der Welt solche Dinge nicht länger hinnehmen würden, dass das gemeine Volk den Kampf gegen diese Terroristen, diese Vandalen, diese Mörder aufnehmen würde, dass er auf der Seite des gemeinen Volkes stehe und dass er mehr Polizei und mehr Panzer auf die Straßen schicken werde. Die Reporterin hatte nur mit halbem Ohr zugehört, war ihm ins Wort gefallen und hatte erklärt, dass es noch eine weitere Stellungnahme gebe. Ein gewisser Pastor Hunt meldete sich zu Wort, und während er redete, bemerkte Benjamin, dass er das alles schon einmal gehört hatte, dass er die Predigt Wort für Wort kannte. Und als er genauer hinsah, entdeckte er das »I«-Abzeichen an dessen Revers. Als die Kamera zu der Reporterin zurückschwenkte, sah er, dass auch sie ein Abzeichen trug. In dem Moment war ihm klar geworden, dass es keine Hoffnung mehr gab, kein Zurück.
Während Benjamin sich ruhig das Interview ansah, hatte er gespürt, wie sich etwas in ihm veränderte, und auf einmal kam ihm die Erleuchtung. Er hatte das alles so satt – diese Wut, diese Gewalt –, das alles war wie eine Krankheit, die so weit fortgeschritten war, dass sie nicht mehr geheilt werden konnte. Benjamin schwor sich, dass, wenn er überlebte, wenn alles vorbei war, wenn das Feuer die Welt verwüstet hatte, er es besser machen würde. Er würde irgendwo, irgendwann einen besseren Ort schaffen, wo keine Gewalt mehr herrschte, wo die Menschen ohne Angst vor Übergriffen frei ihre Meinung äußern konnten, wo man ihnen zuhörte, sie ermutigte und förderte. Einen Ort, an dem er die Führung übernehmen würde, aber nicht an der Spitze, um den Leuten zu sagen, was sie tun sollten, sondern mitten unter ihnen.
Benjamin hätte nie gedacht, dass sein Traum einmal Wirklichkeit werden würde, weil er überzeugt war, dass er angesichts der Zerstörung nicht mehr so lange leben würde. Aber an diesem Tag ging er gleich nach den Nachrichten zurück in seine Zelle, baute sich vor Stern auf, sah ihm direkt in die Augen und sagte etwas, was er bis heute nicht vergessen hatte. »Schlag mich, wenn du willst. Bringen wir es hinter uns. Das ist deine letzte Chance. Wenn du mir überlegen sein willst, musst du mich töten. Und wenn nicht, wirst du tun, was ich sage. Und ich sage, dass es keine Kämpfe, keine Gewalt mehr geben soll. Ich habe das alles satt. Ich schäme mich. Wir können entweder hier warten, bis alles vorbei ist, wir können uns in Stücke reißen wie wilde Tiere, oder wir können Stärke zeigen. Ich will stark sein. Ich will etwas Gutes schaffen. Ich will etwas Neues, etwas Besseres aufbauen. Also, schlag mich jetzt, oder hilf mir, etwas aufzubauen. Du hast die Wahl.«
Dann hatte er darauf gewartet, dass Stern seinen Schlag landete. Aber er tat es nicht. Stattdessen hatte er Benjamin die Hand hingestreckt. Er habe gerade erfahren, sagte er, dass sein Sohn tot sei. Er war das Einzige gewesen, was seinem Leben einen Sinn gegeben hatte. Sein Sohn war erst drei gewesen. Er hatte sich gerade vor einem Restaurant aufgehalten, als dieses in die Luft flog, und war durch herumfliegende Glassplitter lebensgefährlich verletzt worden. Er war zu spät in das überfüllte Krankenhaus gebracht und von den wenigen, völlig erschöpften und überarbeiteten Ärzten zu spät behandelt worden. Und jetzt war er tot.
Benjamin erinnerte sich an all das, als wäre es gestern gewesen, und doch schien es schon eine Ewigkeit her zu sein, so als wäre es nicht in seinem eigenen Leben passiert, sondern im Leben eines anderen, den er früher einmal gekannt hatte. Er öffnete das Fenster, trat hinaus in den Sonnenschein und atmete tief durch. Es war gut, noch am Leben zu sein, dachte er bei sich. Gut, zu diesem Ort des Wachstums, der Akzeptanz und des Neuanfangs zu gehören. Jeder brauchte manchmal einen Neuanfang. Jeder hatte eine zweite Chance verdient.
Benjamin ging ins Zentrum der Siedlung, vorbei an
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