Das letzte Zeichen (German Edition)
ist.«
Evie nickte unbehaglich, dann drehte sie sich um und blickte auf die Straße, wo die Männer Mr Bridges noch immer quälten. Einer hatte einen Stecken aufgehoben und schlug damit auf ihn ein, ein anderer tat es ihm nach. Wie lange würde sie hier noch festsitzen und wie lange würde sie diese Folter noch mitansehen müssen?
Dann schnitt mit einem Mal eine andere Stimme durch das Gejohle der Männer und sie hielten augenblicklich ein mit dem Schlagen. »Ich nehme an, dass euch der Große Anführer selbst zu dieser Bestrafung ermächtigt hat, oder?«
Der barsche und so charakteristische Klang der Stimme ließ keinen Zweifel. Das konnte nur einer sein. Evie spähte zur Ladentür hinaus und sah Lucas herankommen. Sein Blick war wie versteinert vor Wut.
Die Männer blickten ihn feindselig an, doch als sie sein gelbes Rangabzeichen erkannten, wurden sie etwas vorsichtiger. »Was geht dich das an«, knurrte einer und ging argwöhnisch auf Lucas zu. »Das ist ein D. Er ist gefährlich und er wohnt in unserer Straße. Und wir wollen ihn hier nicht.«
»Was mich das angeht? Ich bin ein Bürger dieser Stadt, und ich bin der Ansicht, dass das System zuständig ist für Sicherheit und Ordnung«, erwiderte Lucas eisig. »So ein Verhalten ist, so wie ich das sehe, gesteuert von Wut und Überheblichkeit – beides verwerfliche Beweggründe, die keinen Platz haben innerhalb der Stadtmauer.« Er lächelte, doch selbst von der anderen Straßenseite aus sah Evie seine eiskalten Augen. Eine Welle der Angst ergriff sie; dieselben Augen hatte sie vorige Nacht im Mondschein gesehen.
»Was fällt dir ein?«, rief der Anführer. »Willst du etwa sagen, dass wir im Unrecht sind? Er ist der Unmensch, und er wartet nur darauf, unsere Familien zu überfallen.«
Er sprang auf Lucas zu und stürzte sich auf ihn, aber Lucas war schneller. Er packte den Mann an den Handgelenken, riss ihn herum und drehte ihm die Arme auf den Rücken. Evie sah zu und ihr stockte der Atem. Was ging hier vor? Warum sollte Lucas einen D beschützen? Warum?
»Und du meinst, euer Vorgehen ist das, was der Große Anführer meint, wenn er uns in seiner Betrachtung Nummer 78 anweist, ›unseren Rang und den der anderen zu akzeptieren, weil das System seine Pflichten kennt, und wir müssen die unseren kennen und danach streben, immer besser zu werden, uns selbst zu verbessern und damit auch unsere Gemeinschaft, unsere Stadt und unsere Gesellschaft‹? Wirklich?«, zischte er zwischen den Zähnen. Er stieß den Mann zu Boden. »Verschwindet hier. Geht nach Hause«, befahl er und starrte einen nach dem anderen an, als wollte er sie herausfordern, sich ihm zu widersetzen.
Keiner wagte es. Die Augen gesenkt, schlichen sie davon, wobei der eine oder andere sich noch einmal umdrehte und einen reumütigen Blick auf Lucas warf. Daraufhin streckte Lucas Mr Bridges, der auf dem Pflaster kauerte, die Hand hin. Evie sah mit weit aufgerissenen Augen zu und fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Warum tat Lucas so etwas?«
»Können Sie gehen?«, fragte er.
Mr Bridges nickte. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, krächzte er. »Ich weiß nicht, wie …«
»Danken Sie mir nicht«, bellte Lucas. »Von einem D will ich keinen Dank. Ich habe diese Männer nur vor sich selbst geschützt und davor, dass sie durch Sie verdorben werden.« Er blickte sich um und Evie duckte sich hinter die Ladentür. Als sie wieder hinaussah, gab Lucas dem Mann etwas in die Hand – eine Karte, seine Karte. Dann drehte er sich um und marschierte los. Genau auf Evie zu. Genau auf die Bäckerei zu! Panisch blickte sie sich um, aber es war zu spät, um zu fliehen, und in dem kleinen Laden konnte sie sich nirgendwo verstecken.
Energisch drückte er die Ladentür auf und Evie straffte sich. Vielleicht war er ja genauso nett zu ihr wie gerade eben zu Mr Bridges. Vielleicht war Lucas ja doch keine Maschine. Vielleicht … Er bemerkte sie sofort, als er in den Laden kam. »Evie!« Seine Augen zogen sich zusammen und jede Gefühlsregung verschwand aus seinem Gesicht. »Was machst du hier?«
»Sie weiß nicht, welches Brot sie will«, sagte die Frau hinter dem Tresen und seufzte.
»Doch, ich weiß es«, sagte Evie schnell und suchte in Lucas’ Gesicht nach einem Hinweis darauf, was er jetzt tun wollte und wie es wohl weitergehen würde. »Ich muss bloß … Ich muss meine Mutter fragen. Also drei Wertmarken für den Laib.«
»Dann solltest du nicht Mrs Arnolds Zeit verschwenden«, meinte
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