Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Zeichen (German Edition)

Das letzte Zeichen (German Edition)

Titel: Das letzte Zeichen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma Malley
Vom Netzwerk:
hinter die Wahrheit kam, da hatte er lauter Ausreden – schuld war die Ausrüstung, oder seine Helfer, alles Mögliche. Er hat mir gesagt, beim nächsten Mal würde es bestimmt klappen, dann wieder beim nächsten Mal. Und immer so weiter und ich habe ihn nicht aufgehalten. Erst als es zu spät war. Erst als …«
    Er brach ab; es fiel ihm offenbar schwer, weiterzuerzählen.
    »Aber es hat doch funktioniert«, widersprach Evie. »Wir sind kein dahinvegetierendes Gemüse.«
    »Nein«, räumte Linus ein, »aber ihr habt auch noch nicht die Neutaufe erhalten.«
    »Doch, das haben wir«, meinte Evie hitzig. »Dass wir geflohen sind, heißt noch lange nicht, dass wir böse sind oder dass wir keine Neutaufe erhalten haben, denn das haben wir. Ich weiß es ganz genau. Wir haben doch die Narben. Die, die Sie selbst aufgemacht haben, als Sie uns gefangen genommen haben.«
    Linus antwortete nicht, er schaute sie nur traurig an.
    »Aber …« Raffy fuhr sich, genau wie Evie, mit der Hand über die Narbe an der Schläfe. Seine Augen blitzten vor Wut. »Warum hat er weitergemacht? Warum hat man ihn gelassen?«
    »Weil wir schwach waren. Weil wir seine Ausreden hingenommen haben. Weil wir uns den Erfolg genauso gewünscht haben wie er. Er hat allen gesagt, die Operation würde nicht klappen, wenn die Patienten zu viel Böses in sich hätten«, sagte er bedauernd. »Und die, die er mit seinen Experimenten zu dahinvegetierenden Wesen gemacht hat, die hat er versteckt. Wir haben sie versteckt.« Er vergrub das Gesicht in den Händen, dann sah er wieder auf. »Versteht ihr nicht? Die Leute, die euer Großer Anführer operiert hat … das sind die Bösen, vor denen ihr alle solche Angst habt. Er hat sie erschaffen. Das waren diejenigen, die an ihn geglaubt haben, die für ihn gearbeitet haben. Und er …« Linus stand auf, ging ein paar Schritte, beugte sich vor und stützte für einige Sekunden die Hände auf die Knie. Dann kam er zurück, offenbar bereit, fortzufahren.
    »Schließlich hat er aufgehört. Er musste. Aber die Menschen glaubten an die Neutaufe, sie brauchten sie, damit sie daran glauben konnten, dass das Böse ausgemerzt war. Und deshalb …« Er trat von einem Fuß auf den anderen und sah ihnen nicht in die Augen. »Und deshalb wurde die Neutaufe nur noch vorgetäuscht. Jeder glaubte, dass er sie erhalten hätte. Ein kleiner Schnitt an der Schläfe … das dachte ich zumindest …« Er seufzte. »Wichtig war nur, dass die Leute überzeugt waren. Und es hat sogar gewirkt – durch den Placebo-Effekt.«
    »Placebo?«, fragte Evie und zog die Nase kraus.
    »Du sagst jemandem, dass er ein Medikament bekommt und dass es ihm dann besser geht, auch wenn du ihm nur Sägemehl gegeben hast«, erklärte Linus. »Oder du sagst den Leuten, sie sind nicht fähig zum Bösen, und sie glauben auch das.«
    »Dann hat also keiner von uns eine Neutaufe bekommen?« Evie fasste sich unwillkürlich an den Kopf. Ihre Gedanken rasten. Konnte das wirklich stimmen? Die ganze Zeit war sie voller Angst gewesen, ihre Amygdala könnte wieder nachwachsen, und dabei war sie nie entfernt worden? Auch nicht bei ihren Eltern? Bei niemandem?
    »Nicht einmal der Bruder? Und auch nicht die As?«
    »Vor allem nicht der Bruder«, sagte Linus finster. »Und was die As angeht …« Er atmete tief aus. »Damals gab es noch keine As. Das System war nicht dazu aufgebaut worden, um die Leute einzuteilen oder ein Urteil über sie zu fällen. Es sollte dafür sorgen, dass sie das hatten, was sie brauchten, und dass ihr Leben erfüllt war.«
    »Dann hat also gar niemand die Neutaufe erhalten?« Es fiel Evie immer noch schwer, damit klarzukommen.
    »Gar niemand. Natürlich war Fisher nicht begeistert, dass er nicht operieren durfte. Er war überzeugt, dass er es irgendwann schaffen würde, wenn er es nur weiter versuchen könnte. Er hat anscheinend nicht verstanden, dass er das Leben der Leute zerstörte. Wir mussten ihn aufhalten, ihn einsperren. Der Bruder – damals hieß er einfach Mark – hat uns sehr geholfen. Ich dachte, er wäre ein Freund. Ich … ich habe ihm die Wahrheit gesagt. Und er war großartig. Hatte jede Menge Ideen. Er wollte den Placebo-Effekt durch spirituelle Versammlungen verstärken; er wollte der geistige Führer der Stadt sein und dafür sorgen, dass die Menschen auf dem rechten Weg blieben. Er und ich waren die Einzigen, die wussten, dass die Neutaufe nicht echt war, die Einzigen, die überhaupt irgendetwas wussten. Aber dann

Weitere Kostenlose Bücher