Das letzte Zeichen (German Edition)
noch wie heute. Die Polizeigarde kam zu uns nach Hause, um ihn zu holen. Sie haben gesagt, dass er gefährlich ist und dass er neu konditioniert werden muss. Und er würde nie wieder zurückkommen, weil er schwach ist und weil das Böse in ihm zu stark ist. Meine Mutter war auch dabei. Sie hat gezittert. Sie hat mir gesagt, ich soll gut sein, sonst würden sie mich als Nächsten holen. Sie hat gesagt …«
Er sprach den Satz nicht zu Ende. Er zitterte am ganzen Körper. Evie streckte ihm die Hand hin und er hielt sie krampfhaft fest. Auch sie erinnerte sich an diesen Abend … daran, wie Raffy sich danach verändert hatte. Alles hatte sich verändert.
Linus schwankte. Trauer, Schuld, Wut, alles war tief in seine Gesichtszüge eingegraben.
»Du warst vier?«, fragte er. »Dann ist das so ungefähr zwölf Jahre her?«
»Dreizehn«, sagte Raffy abwehrend.
»Dreizehn, also fünf Jahre nach meiner Flucht.« Linus verschränkte die Arme und ging wieder eine Weile auf und ab. Dann kam er zurück zu Raffy und blieb direkt vor ihm stehen. »Aber wenn dein Vater tot ist«, sagte er dann, und in seinem Gesicht spiegelte sich Angst, und seine Augen blickten Raffy eindringlich an, »wer hat mir dann die ganzen Jahre über Nachrichten geschickt? Wer hat mir dann gesagt, ich soll nach dir Ausschau halten? Wer hat mich alarmiert, wenn jemand zum K erklärt wurde, damit ich als Erster dort war und die Leute in Sicherheit bringen konnte?«
Evie sah ihn an. »Also, dann seid ihr … ihr seid alle Ks? Alle?«
»Fast alle.« Ein Schatten fiel über Linus’ Gesicht. »Wir kommen nicht immer rechtzeitig. Manchmal sind die Bö sen …« Die Stimme versagte ihm und er räusperte sich. »Und manchmal können wir nichts machen«, fuhr er schließlich fort. »Sonst erwischen sie uns auch. Und dann …« Er sah aus, als wenn er sich schüttelte. »Das Entscheidende ist, dass dein Vater mir von dir erzählt hat. Er hat gesagt, ich soll nach dir suchen. Wie hätte er das können, wenn er tot ist?«
»Sie wussten von uns?«, fragte Evie ungläubig. »Sie wussten, dass wir aus der Stadt geflohen sind? Aber warum haben Sie uns dann gefangen genommen? Warum haben Sie Raffy verprügeln lassen?«
Er hob die Brauen. »Das waren keine Prügel. Das war nur, damit ihr nicht versucht, zu fliehen. Ich wollte euch erst hierherbringen und sicher sein, dass die Polizeigarde die Suche aufgegeben hat.« Er wandte sich wieder an Raffy. »Von wem stammen dann diese Botschaften? Ich muss das wissen.« Er packte Raffy an der Schulter und starrte ihn an.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Raffy hilflos. »Aber ich habe ein Kommunikationsprogramm gefunden.«
»Du hast das Kommunikationsprogramm gefunden? Dann ist es aufgeflogen?« Linus’ Augen weiteten sich vor Furcht.
»Deshalb haben sie ihn doch zum K erklärt«, sagte Evie ruhig.
»Und wann bist du darauf gestoßen? Und wie? Wem hast du davon erzählt?«
»Ich habe eine Panne entdeckt. Nur dass es keine Panne war. Ich habe Wartungsarbeiten am System vorgenommen und bin dabei auf einen seltsamen Programmcode gestoßen und auf irgendwelche Aktivitäten, die ich mir nicht erklären konnte«, sagte Raffy unbehaglich. »Und Sie meinen, mein Vater hätte das dort eingebaut? Dass er auf diese Weise mit Ihnen in Verbindung gestanden hat? Und ich habe das alles kaputt gemacht?«
Linus schien Raffy gar nicht zu hören, sie beide gar nicht wahrzunehmen. »Aber das ergibt überhaupt keinen Sinn«, flüsterte er und schüttelte den Kopf. Sein Gesicht war immer noch voller Sorge. »Letzte Woche bist du darauf gestoßen? Wer hat dann Verbindung mit mir aufgenommen? Wer ist an die Stelle deines Vaters getreten?«
Evie sah erst Linus an, dann Raffy, dann trat sie einen Schritt vor, denn sie wusste, sie verstand mit einem Mal alles.
»Lucas«, sagte sie ruhig. »Er wusste Bescheid. Die ganze Zeit. Er gehört zwar zur Regierung, aber er hat mir das mit Raffy erzählt. Er hat gesagt, Raffy müsste fliehen.«
»Lucas?«, schnaubte Raffy. »Der hat doch allen erzählt, dass ich verrückt bin und dass ich nichts weiter gefunden habe als eine unbedeutende Panne und dass ich Wahnvorstellungen hätte …« Und noch während er sprach, wurde ihm bewusst, was er da sagte, wurde ihm bewusst, was Lucas die ganze Zeit getan hatte. »Lucas?«, murmelte er. »Lucas? Die ganze Zeit?«
»Wer ist Lucas?«, fragte Linus erregt. »Sag es mir.«
»Lucas ist mein Bruder.«
»Aber er kann es nicht sein. Er war ja noch ein Junge, als
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