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Das letzte Zeichen (German Edition)

Das letzte Zeichen (German Edition)

Titel: Das letzte Zeichen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma Malley
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schmeichelhaften Gedanken über Lucas. Und jetzt … jetzt kannte sie die Wahrheit. Sie war die Tochter von Bösen, aber die Bösen waren nicht böse, sie waren Opfer der grausamen Herrschaft der Stadt. Das Böse wohnte nicht außerhalb der Mauern, sondern innerhalb, überall dort, mit seinen Geheimnissen und seiner Brutalität.
    Sie drückte ihre Nase an das Plastikfenster. Die Menschen dort drin lagen auf den gleichen Matratzen, wie auch sie und Raffy sich eine geteilt hatten. Aber sich nie wieder eine teilen würden. Eine verzweifelte Sehnsucht nagte an ihr, und sie fühlte eine jämmerliche Träne in den Augen brennen, aber sie zwang ihre Gedanken zurück in die Gegenwart. Nicht jetzt. Nicht jetzt.
    Viele Böse hatten die Augen geöffnet, sie waren wach. Aber sie würden nie wieder richtig wach sein. Ihr Bewusstsein war ihnen geraubt worden. Ihre Zukunft. Ihre Kinder.
    Eine Frau setzte sich langsam auf der Matratze auf und bemerkte Evie – es war dieselbe Frau, die auch schon am Tag zuvor auf Evie aufmerksam geworden war. Ihr Gesicht hatte tief in Evie etwas aufgerührt, das sich ihr eingeprägt hatte. Während Evie die Frau betrachtete, wurde ihr immer wärmer. Die Frau lächelte, winkte und kam ans Fenster. Wie gebannt drückte Evie ihre Hand gegen das Plastik; die Frau tat es ihr gleich. Sie musste in den Vierzigern sein, etwas jünger als die Frau, die sich in der Stadt als Evies Mutter ausgegeben hatte. Sie war auch hübscher, auch wenn ihre Augen nur Schatten waren, auch wenn ihre Mundwinkel schlaff herabhingen und ihre Bewegungen ungelenk waren. In ihren Augen lag eine Traurigkeit, die Evie wiedererkannte, eine Traurigkeit, die der Spiegel ihr jeden Tag ihres Lebens zurückgeworfen hatte.
    »Evie?« Sie erschrak beim Klang von Linus’ Stimme. Er stand hinter ihr, sie wusste nicht, wie lange schon. Sie hatte allerdings auch keine Ahnung, wie lange sie selbst schon hier war. »Zeit fürs Frühstück, falls du Hunger hast.«
    »Eigentlich nicht«, flüsterte sie. Sie konnte die Hand der Frau durch das Plastik spüren.
    »Komm trotzdem. Wenn es dir nichts ausmacht.« Er legte den Arm um sie und führte sie weg. Evie wusste, dass sie keine Kraft hatte, Widerstand zu leisten. Sie lächelte der Frau noch einmal zu, dann wandte sie sich ab und folgte Linus.
    »Wir kümmern uns hier um sie«, sagte Linus, während sie zwischen den Zelten hindurchgingen. »Sie sind so glücklich, wie es ihnen möglich ist.«
    »Ich weiß«, antwortete Evie mit erstickter Stimme.
    »Und wir werden dem, was hier vorgeht, ein Ende machen.«
    »Ich weiß«, sagte sie noch einmal. Aber ein Ende zu machen, war ihr nicht genug. Das wurde ihr mit einem Mal klar. Es war zu spät. Weil niemand verhindert hatte, dass es ihren Eltern passierte. Weil niemand verhindert hatte, dass es ihr Leben in Stücke riss.
    »Morgen! Gut geschlafen?« Martha saß neben Raffy und lächelte breit – zu breit, dachte Evie. Hatte Raffy es ihr erzählt? Wusste sie, dass Evie ihn betrogen hatte? Beurteilte sie Evie so, wie Evie sich selbst beurteilte?
    »Sehr gut, danke.« Sie lächelte und setzte sich den beiden gegenüber. Raffy schaute sie nicht an, sondern drehte den Oberkörper ganz leicht zur Seite, sodass er von ihr wegsah.
    Linus verschwand kurz zum Tresen und kam mit etwas Porridge und Trockenfrüchten wieder.
    Als er sich setzte, stand Raffy auf. »Bis später«, murmelte er, während Evie ihm nachsah.
    »Damit bist du gut gerüstet für den Tag«, sagte Linus, stellte ihr den Porridge hin, und sein Gesicht legte sich wieder in Falten zu dem Lächeln, das Evie nicht erst ein paar Tage, sondern schon seit Jahren zu kennen glaubte.
    Dankbar nahm sie an und stellte beim Essen überrascht fest, dass sie doch hungrig war.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte Martha mit besorgter Miene. »Du bist anscheinend nicht ganz bei der Sache.«
    »Es geht mir gut«, log sie und drehte sich zu Linus hin. Sie wollte Marthas Mitgefühl nicht. Sie brauchte Ablenkung. Sie wollte nicht an Raffy denken und schon gar nicht an das riesige Loch in ihrem Herzen, das sie selbst verschuldet hatte. »Wo baut ihr euer ganzes Gemüse und euer Getreide an?«, fragte sie. »Und wo sind eure Tiere?«
    Linus warf Martha ein schiefes Lächeln zu. »Weiter hinten bauen wir alles Mögliche an. Und wir haben ein paar Ziegen. Aber hauptsächlich sind wir Sammler.«
    »Sammler?« Evie zog die Augenbrauen hoch.
    »Er meint, wir suchen nach Essen«, erklärte Martha.
    »Ihr meint Beeren und so

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