Das Leuchten der Insel
Baby wird in weniger als einem Monat zur Welt kommen.« Sie drehte den Kopf von Betty weg und blies eine lange Rauchschwade in die andere Richtung. »Du weißt, dass du gern hierbleiben kannst. Du und das Baby.«
Betty schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht tun«, sagte sie. »Ich fühle mich ohnehin schon schuldig, dass ich die ganze Zeit hier bin und im Bett rumliege, während du dich um mich und auch noch um Dick und Macy kümmerst. Das ist nicht in Ordnung.«
»Du würdest das für mich ebenso tun.«
Betty zupfte an den rosafarbenen Kreisen aus Chenille, die auf die Tagesdecke genäht waren. »Ich weiß. Aber nicht ich tue es für dich, sondern du tust es für mich.« Sie sah zu ihrer Schwester hoch. »Wenn ich noch rund acht Wochen nach der Geburt des Babys hierbleiben könnte, müsste es mir möglich sein, nach einer Stelle zu suchen und ein Zimmer in einer Pension zu finden, die sowohl mich als auch das Baby aufnimmt.«
Bobbie beugte sich zu ihr herunter: »Wirklich? Glaubst du, dass das so einfach sein wird?«
»Was? Ein Zimmer oder eine Stelle zu finden?«
»Beides. Du bist dreiundzwanzig. Du hast seit vier oder fünf Jahren nicht mehr gearbeitet. Du lebst getrennt, und dein Mann besitzt keinen Cent, mit dem er dich oder das Baby unterstützen könnte.«
»Er hat die fünfzig Dollar geschickt.« Warum fühlte sie sich genötigt, Bill zu verteidigen?
Bobbie sah sie wieder an, diesmal voller Mitleid, was sogar noch schlimmer war als der »Sei realistisch«-Blick, den sie ihr vor ein paar Minuten zugeworfen hatte.
»Hör mal, Betsy, ich bin auf deiner Seite. Ich würde alles für dich tun, das weißt du. Aber du musst intensiv darüber nachdenken, wie dein Leben in sechs Monaten aussehen wird.«
»Was glaubst du denn, was ich den ganzen Tag lang mache? Ich tue nichts, als ständig darüber nachzudenken.«
Jetzt war es Bobbie, die den Kopf sinken ließ und begann, mit dem Finger die Kreise auf der Tagesdecke nachzuzeichnen. »Dick hat etwas erwähnt, über das ich zunächst gar nicht weiter nachgedacht habe – aber es könnte einen Gedanken wert sein.«
»Was denn?«
Bobbie hob den Kopf. »Einer seiner Kollegen ist mit einer Sozialarbeiterin verheiratet. Sie arbeitet in der Vermittlungsstelle für Adoptivkinder.«
» Adoption? «
Natürlich. Die Idee, das Baby wegzugeben, war ihr noch gar nicht in den Sinn gekommen, obwohl jeder andere daran gedacht hätte. Bill war ein Schuft. Sie hatte kein Geld, und Bill hatte auch keins, das er ihr geben konnte. Sie war noch immer jung und würde vielleicht noch einmal heiraten können – aber nicht, wenn sie durch ein Baby gebunden war. Ein anderes Paar würde dem Baby Dinge geben können, die sie ihm nicht bieten konnte: ein Elternpaar, das sich liebte und loyal zueinanderstand, finanzielle Sicherheit und eine Zukunft.
Aber sie kannte dieses Baby. Sie wusste, dass das Baby ein Morgenmensch war, weil es an den meisten Tagen vor sechs Uhr um sich trat und zappelte. Sie wusste, dass das Baby keine Tomaten vertrug, weil es stundenlang, nachdem sie welche gegessen hatte, Schluckauf hatte und unruhig war. Sie wusste auch, dass sich das Baby leicht erschreckte, vor allem, wenn der Hund bellte. Das Baby war für Betty bereits so real, dass sie an manchem Morgen beim Aufwachen, erstaunt darüber war, noch immer schwanger zu sein und den kleinen Menschen, den sie kannte, nicht neben sich liegen zu haben.
Bobbie musste etwas in ihrer Miene gelesen haben, weil sich ihre Augen mit Tränen füllten. Sie drückte ihre Zigarette in dem auf dem Nachttisch stehenden Aschenbecher aus und schlang ihre Arme um Betty.
»Es tut mir leid, vergiss es, ich hätte nichts sagen sollen! Ich weiß, dass du dieses Baby willst. Und ich will es auch.« Bobbie ließ sie wieder los und wischte vorsichtig die Tränen unter ihren Augen weg, damit ihre Mascara nicht zerlief. »Wir werden eine Lösung finden.«
Aber welche? Was sollte sie tun? Betty dachte noch lange darüber nach, nachdem Bobbie ihr Zimmer verlassen hatte, und eine Woche später, als die Rosen in der blauen Vase welkten und ihre Blütenblätter fallen ließen, dachte sie noch immer darüber nach. Und dann begann sie, ihren Plan zu entwickeln.
12. Kapitel
Susannah 2011
E ines Samstagmorgens, etwa drei Wochen nach ihrer Ankunft, ertappte sich Susannah dabei, wie sie auf einen Baum kletterte, was sie seit ihrem zwölften Lebensjahr nicht mehr getan hatte. Damals war es ihr noch erheblich leichter gefallen. Hood hatte
Weitere Kostenlose Bücher