Das Leuchten der Insel
ihre anderen Schwangerschaften auch: mit einer Fehl- oder Frühgeburt. Der Arzt verordnete ihr absolute Bettruhe, darum blieb sie weiter in Bobbies Haus. Ihre Mutter hatte die Pension in Queen Anne verkauft und war mit Grammy und Mel, deren Panikattacken zu einer Art lähmenden Ängstlichkeit geworden waren, in eine kleine Wohnung gezogen. Mel fürchtete sich vor Donner, vor Höhe, vor Katzen, vor Sirenen und vor Regen. Und Jimmy studierte auf der anderen Seite des Landes Jura. Bobbies Haus war der einzige Ort, an dem sie bleiben konnte.
Nach vier Monaten schrieb Bobbie Bill einen nüchternen Brief, in dem sie ihm mitteilte, dass Betty im Juli ein Kind zur Welt bringen würde. Sie wüssten, dass er Geld für den Unterhalt seines Kindes schicken würde, schrieb sie, aber Betty würde nicht nach Sounder zurückkehren. Bobbie nannte ihn bei keinem der Schimpfwörter, die sie gebrauchte, wenn sie in Bettys Anwesenheit über ihn sprach, noch drohte sie ihm damit, wie sie es Betty gegenüber getan hatte, ihm sein Glied mit einem Küchenmesser abzuschneiden.
Bill schickte einen Brief an Bobbie mit einem Scheck über fünfzig Dollar und einem versiegelten Umschlag für Betty. Betty wusste, dass er etwas verkauft haben müsste – möglicherweise sein Angelgerät oder seinen Angelkasten –, um so viel Geld auftreiben zu können. Bobbie legte den Umschlag auf den Walnusstisch neben Bettys Bett und sagte: »Ich habe überlegt, ob ich ihn nicht wegwerfen soll, aber du kannst es selbst entscheiden.«
Betty warf ihn nicht weg, aber sie öffnete ihn auch nicht. Dafür dachte sie nach. Sie hatte nichts anderes zu tun, da sie bis auf kleine Ausflüge ins Badezimmer den ganzen Tag im Bett lag. Bobbie stellte den Fernseher in ihr Zimmer, aber Betty hatte ein so geringes Interesse daran, dass sie ihn wieder zurückholte. Ihre Mutter oder Grammy kamen jeden Tag vorbei, um sie zu besuchen oder Essen vorbeizubringen. Sie sprach mit ihnen und tat so, als läse sie die Bücher, die sie dagelassen hatten, und blätterte in den Hochglanzmagazinen, die ihr Bobbie als Lektüre mitbrachte. Aber ihr Gehirn nahm die Worte nicht auf.
»Was soll ich tun?«, fragte sie sich jeden Tag. Wenn das Baby starb, wie sie es angesichts ihrer bisherigen Geschichte erwartete, konnte sie wieder rausgehen und eine Stelle finden, irgendeine Stelle, und vielleicht ein Zimmer in einer Pension mieten. Aber wenn das Baby überlebte? Sie erlaubte sich nicht, in diese Richtung weiterzudenken. Sie wollte nicht auf etwas hoffen, das sie möglicherweise niemals bekommen würde.
Im Februar spürte sie den ersten Tritt des Babys. Im Juni war sie weiter in ihrer Schwangerschaft, als sie es bei den Zwillingen gewesen war, und das Baby trat und drehte sich die ganze Zeit in ihr. Sie begann zu glauben, dass dieses Baby möglicherweise überlebte. Und was dann? Sie wollte nicht für immer von der Barmherzigkeit ihrer Schwester abhängig sein. Bill hatte die Farm zum Verkauf ausgeschrieben, aber es schien klar, dass er sie nicht würde verkaufen können. Also würde sie noch nicht einmal das bisschen Geld bekommen, das sie als ihren Anteil erhalten hätte.
Eines Tages brachte Bobbie einen Strauß früher Rosen in zartem Hellrosa aus Grammys Garten mit. Sie füllte eine blaue Glasvase mit Wasser, tat die Rosen hinein, stellte sie auf die Kommode gegenüber von Bettys Bett und trat ein paar Schritte zurück, um sie zu bewundern.
»Sie sind wunderschön«, sagte Betty.
»Nicht wahr? Rosen sind meine Lieblingsblumen. Mel liebt vor allem Dahlien, was wir als ersten Hinweis hätten nehmen sollen, dass etwas mit ihr nicht stimmt.«
Betty lächelte. Bobbie gelang es immer, sie zum Lächeln zu bringen.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Bobbie.
»Gut. Ich langweile mich.«
Bobbie setzte sich auf die Bettkante, legte ihre Hand auf die von Betty und sah sie ernst an.
»O nein«, sagte Betty. »Ich kann sehen, dass dies der Auftakt zu einem ernsten Gespräch ist.« Sie richtete sich ein wenig auf, nahm ihre Hand unter Bobbies weg und zog sich die Bettjacke enger um ihre Schultern. Dann atmete sie tief durch. »Also gut. Ich bin bereit.«
»Das ist nicht im Geringsten komisch«, sagte Bobbie, drehte sich um, öffnete die Nachttischschublade und entnahm ihr eine Packung Zigaretten und ein silbernes Feuerzeug. Sie klopfte eine Zigarette aus der Packung, steckte sie sich zwischen die Lippen und zündete sie mit dem Feuerzeug an. Dann nahm sie einen tiefen Zug, bevor sie sagte: »Das
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