Das Leuchten der Insel
schwierig, eine Fernehe zu führen«, meinte Betty. »Ich habe das zwölf Jahre lang gemacht.« Sie blies einen langen Strom aus Rauch aus.
»Wirklich?«
»Ja. Es ist schwer, an einem Ort wie Sounder seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Darum arbeitete Bill oben in Alaska, um Königskrabben zu fangen, und kam nur im Sommer nach Hause.«
»Das muss hart gewesen sein.«
»In gewisser Weise. Es war hart für Jim, seinen Dad nicht bei sich zu haben.« Von ihrem Platz im Baum aus konnte Susannah Bettys Gesicht nicht sehen. »Und Bill und ich … Es war kompliziert.«
Kompliziert . Vielleicht war das das passende Wort, um das rastlose Unbehagen zu beschreiben, das Susannah hinsichtlich ihrer eigenen Ehe empfand. Während der drei Wochen, die sie hier war, hatte sie Matt nicht wirklich vermisst; jedenfalls nicht in der Weise, wie sie es erwartet hatte oder in der sie es ihrer Meinung nach tun sollte. In vielerlei Hinsicht war die Entfernung zwischen ihnen sogar eine Erleichterung. Zu Hause hatte sie stets das Gefühl gehabt, etwas von Matt zu wollen, was er ihr nicht geben konnte, aber wenn man sie gefragt hätte, was genau das war, wäre sie nicht imstande gewesen, es zu benennen.
Sie erinnerte sich noch immer daran, wie er sie vor vielen Jahren während ihrer Collegezeit in Ann Arbor besucht hatte. Sie hatten einen weiten Fahrradausflug unternommen, waren durch Buchläden gezogen, hatten Ouzo getrunken und waren dann zwangsläufig im Bett gelandet. Am nächsten Morgen hatte sie dagelegen, während der Frühlingsregen die Welt vor dem Fenster in leuchtendes Grün tauchte, und ihn angesehen und gedacht: »Was, wenn ich mich in Matt Delaney verlieben würde?« Dieser Gedanke hatte sie damals so sehr erschreckt, dass sie im Bett hochgefahren war und Matt damit aufgeweckt hatte.
Natürlich liebte sie ihn. Er war so eng mit all den vergangenen Jahren ihres Lebens verbunden, dass er dem vergoldeten Eichentreppenpfosten im Haus ihrer Mutter glich; etwas, woran man jeden Tag vorbeiging und es berührte, ohne es zu bemerken. An einem Herbstwochenende hatten sie dann eine kleine Hütte am Lake Michigan gemietet, die in der Nähe ihres einstigen Camps lag. Sie waren an dem Kieselstrand entlanggegangen, als ein Gewitter aufzog und sich dicke regenschwere Wolken über den See hängten. Das Unwetter brach los, und sie wurden mit Hagelkörnern bombardiert, die auf Wangen, Arme und Beine einhämmerten, während sie wegrannten. Kaum waren sie in ihrer Hütte angekommen und hatten sich mit dampfenden Kaffeebechern ans Feuer gesetzt, als Matt sie fragte: »Hast du schon mal darüber nachgedacht zu heiraten?«
Meint er, ob ich je heiraten will, oder meint er, ob ich ihn heiraten will?
»Ich weiß nicht«, antwortete sie. »Und du?«
»Nur dich«, sagte er, und dann drehte er sich zu ihr hin, um ihr in die Augen zu sehen.
In diesem Moment fühlte sie etwas in sich aufsteigen, das dem Wasser des Sees nach einem Sturm glich – aufgewühlt und stark und warm. Also liebte er sie auf diese Weise: Sie war die Eine für ihn. Und die Tatsache, dass er ihr gegenüber dieses Gefühl hatte und dass es für ihn so klar und eindeutig war wie die hellen Schieferschichten in den von ihm untersuchten Schluchten, reichte aus, um sie alle Zweifel vergessen zu lassen und sich nichts mehr zu wünschen als ihrerseits dasselbe ihm gegenüber zu empfinden.
Aber nun war sie hier, achtzehn Jahre später und fast fünftausend Kilometer entfernt, und wurde von Zweifeln gequält, die größer waren, als sie es sich vorgestellt hatte oder als sie es sich eingestehen wollte.
»Aber ich sage Ihnen«, fuhr Betty fort, »als Bill dann starb, habe ich ihn mehr vermisst, als ich das je für möglich gehalten hätte.«
Susannah richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart. »Jim hat mir erzählt, dass er jung gestorben ist«, sagte sie. »Das tut mir leid.«
»Autounfall«, erklärte Betty in nüchternem Ton.
»Das ist schrecklich. Es tut mir leid. War es hier auf Sounder?«
»Ja«, bestätigte Betty und zuckte mit den Schultern. »Unfälle geschehen nun mal.«
Etwas am Ton ihrer Stimme berührte und bewegte Susannah. »Das haben alle gesagt, als meine Schwester starb«, meinte sie. »›Unfälle geschehen nun mal.‹ Aber es half nicht.«
»Stimmt. Die Leute sagen zwar: ›Unfälle geschehen nun mal‹, aber in Wirklichkeit meinen sie: ›Unfälle geschehen nun mal, aber mich werden sie nicht treffen.‹ Wenn es dann doch passiert und dich trifft,
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