Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
sicher, du siehst ihn heute Abend, wenn wir am Tisch des Kapitäns eingeladen sind, das ist er nämlich auch, glaube ich. Und wir sind noch wochenlang auf See, bis wir in Brisbane ankommen. Du wirst bestimmt noch viele nette, junge Männer kennenlernen.«
Adelaide Monkton setzte sich auf einen freien Liegestuhl, legte eine leichte Decke über ihren Rock und schlug den kleinen Gedichtband auf, den sie bei sich trug. Die letzten Monate war sie auf einer höchst interessanten Rundreise durch Europa und England gewesen, aber die Gesellschaft der sehr viel jüngeren Miss Oldham konnte ziemlich anstrengend sein.
Die einundzwanzigjährige Margaret strotzte vor Energie, und an der Gesellschaft junger Männer hatte sie weit regeres Interesse als an der Kultur der Alten Welt. Obwohl sie eine wohlerzogene junge Dame war und eine der angesehensten Schulen Brisbanes besucht hatte, nahm Adelaide auch einen rebellischen Zug an ihrem Schützling wahr. Während Margarets Freundinnen und Altersgenossinnen sich eher zurückhaltend gaben, konnte sie recht unverblümt sein. Und es lag wohl nicht nur an ihrer aufrechten Körperhaltung, die sie gewiss ihren Lehrern verdankte, dass Margaret für eine Einundzwanzigjährige mitunter ein wenig herrisch wirkte.
Rührte ihre Art vielleicht von diesem subtilen Standesdünkel her, den Familien aus besseren Kreisen ihren Töchtern einimpfen?, überlegte Adelaide. Ja, als Margaret in die Gesellschaft von London eingeführt worden war, schien sie völlig unbeeindruckt und bewegte sich wie unter ihresgleichen. Margaret wurde dort als »lustiges australisches Mädel« aufgenommen, mit dem man Pferde stehlen konnte. Adelaide war auch aufgefallen, dass sich Margaret einen ziemlich geschniegelt klingenden britischen Akzent zugelegt hatte.
Keine Frage, Adelaide würde heilfroh sein, wenn sie Margaret wieder in die Obhut ihrer Eltern geben und geruhsameren Aktivitäten nachgehen konnte.
Margaret legte sich in ihren Liegestuhl, schloss die Augen und genoss die Wärme der Sonne, nicht ahnend, dass ihre Reisegefährtin sie gerade eingehend analysierte. Doch nach wenigen Minuten sprang sie ungeduldig wieder auf. »Ich glaube, ich mach mich fürs Mittagessen fertig. Sehen wir uns in der Kajüte?«
»Ja, ich komme gleich runter. Es ist gerade so angenehm hier.« Adelaide faltete die Hände, mit einem Finger die Seite in ihrem Buch einmerkend, und schloss die Augen.
Margaret nahm einen Umweg zur Kajüte, die sie sich mit ihrer Anstandsdame teilte. Weil Winifred, Margarets Mutter, nicht besonders reiselustig war, hatte sie ihre älteste Tochter nicht nach England begleiten wollen. Außerdem war ihre jüngere Tochter Bette in ihrem letzten Schuljahr, und so vertraute sie ihre Älteste einer alten Freundin der Familie an. Die beiden waren schon über neun Monate unterwegs und befanden sich jetzt auf der letzten Etappe der Heimreise.
Margaret ging in die Erste-Klasse-Lounge auf dem A-Deck, dann durch den Musikraum und spähte durch die Glastür ins Raucherzimmer, die perfekte Nachbildung einer Halle eines alten Herrenhauses, mit einem imposanten offenen Kamin und einem Wappen darüber. Neben der Feuerstelle prangte eine Rüstung, und man konnte eine kleine Ausstellung mit Medaillons und Artefakten von Bonnie Prince Charlie in Augenschein nehmen. Dann stieg sie die mit rotem Teppich ausgelegte Art-déco-Wendeltreppe hinunter und hielt kurz am Gitter des im französischen Stil erbauten Lifts inne. Er führte hinab zum Hallenbad, das die Designerin Miss Elsie Mackay mit Marmorsäulen und kunstvollen Mosaiken den römischen Bädern nachempfunden hatte. Adelaide hatte Margaret erlaubt, dort zu den für Damen reservierten Zeiten zu schwimmen. Das fand die ältere Dame diskreter als die ausgelassenen Poolspiele und das gesellige Treiben am Außenpool auf dem B-Deck.
Wieder draußen auf dem B-Deck, nahm Margaret den Hut ab und lehnte sich an die Reling, um das schäumende blaue Kielwasser hinter dem weißen Schiffsrumpf zu beobachten. Der Wind trug Gelächter zu ihr herüber, und so umrundete sie ein Rettungsboot und stieß dahinter auf das Spieldeck. Dort war ein lebhaftes Wurfringspiel im Gange, und unter der Gruppe jüngerer Männer erkannte sie auch die hochgewachsene Gestalt von Roland Elliott. Sie blieb stehen, um zuzuschauen, und klatschte, als das Spiel zu Ende war.
Roland Elliott, gekleidet in tropisches Weiß, trat auf sie zu. Er war erhitzt, schien aber zufrieden über den Sieg seines Teams. »Hallo, Miss
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