Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
vor den Mund gepresst, stolperte sie zurück zu ihrem Mann, der seine entsetzte Frau schützend in die Arme schloss.
Vor ihnen lag ein blutüberströmter orangefarbener Fellklumpen. Man hatte das Tier ausgeweidet, aber mehr noch verstörte es die Frau, dass Kopf, Füße und Hände des Orang-Utan-Weibchens brutal abgehackt worden waren.
»Wo ist ihr Kleines?«, flüsterte sie.
Der junge Iban hob die Schultern und sah ihren Mann an. »Weg, Tuan. Für Geld verkauft.«
»Wilderer. Wie furchtbar!«
Die Frau vergrub den Kopf an der Brust ihres Mannes, der ihr Haar streichelte. »Geh zurück, Liebes. Leonard und ich begraben das arme Tier.«
»Ach, wenn wir diese Kerle doch nur erwischen könnten! Es ist so entsetzlich«, stieß sie hervor, und Tränen liefen ihr übers Gesicht. »So grausam. Ich will fort von hier.«
Kapitel 1
Brisbane, 2009
D er Regen fiel in Strömen, er stand wie eine Wand vor ihrer Windschutzscheibe und glänzte im Scheinwerferlicht der entgegenkommenden Fahrzeuge. Julie Reagan war heilfroh, dass sie diese Vorortstraßen schon ihr Leben lang kannte, und bog in eine von dem sommerlichen Guss überflutete Auffahrt ein. Sie hielt vor einem schönen alten Haus, das auf hohe Pfähle gesetzt war, damit die Luft kühlend unter dem soliden Holzfußboden hindurchströmen konnte. Das Gebäude umgab eine große Veranda, zu der Sandsteinstufen hinaufführten. Auf dem schrägen Dach saß ein verziertes Türmchen. Das alte Queenslander hatte eine herrschaftliche Ausstrahlung, es überragte die anderen Häuser in der Nähe. Auf der Veranda mit den von leuchtend gelben Goldtrompeten umrankten Säulen hatte man einen schönen Blick in die Ferne.
Die junge Frau schlug den Kragen ihrer Baumwolljacke hoch, bevor sie über den durchweichten Rasen zu einem tropfenden Flamboyantbaum und von dort die Treppe hoch auf die vordere Veranda lief. Sie schlüpfte aus den Schuhen und schüttelte sich die tropfnassen schulterlangen braunen Locken, die sich ganz bestimmt in der feuchten Wärme kräuseln würden.
Als Julie die weiße Eingangstür mit den Schnitzereien und den Buntglasscheiben aufzog, hielt sie einen Augenblick inne, um die Fernsehnachrichten aus dem Wohnzimmer zu hören und den Geruch nach überbackenem Käse einzuatmen. Offenbar war ihre Mutter beim Kochen. Die langgestreckte luftige Eingangshalle mit dem polierten Holzboden, dem weißen durchbrochenen Schnitzwerk, der Decke aus den geprägten Metallplatten mit Blumenmuster und dem Läufer, der ihrer Urgroßmutter gehört hatte – alles war ihr seit ihrer Kindheit vertraut.
Ihre Urgroßeltern hatten Bayview vor über hundert Jahren gekauft. Hier hatte ihre Großmutter Margaret gelebt, und jetzt war es das Zuhause ihrer Eltern. Auch wenn alte Queenslander teuer im Unterhalt waren, wollte Julies Mutter Caroline das gemütliche, großzügige Haus, in dem sich seit ihrer Schulzeit kaum etwas verändert hatte, keinesfalls aufgeben. Für Julie war es immer ein ruhender Pol in ihrem Leben gewesen. Auch wenn sie ihre Karriere, ihren Freundeskreis und ihre Unabhängigkeit schätzte, konnte sie sich ein Leben ohne dieses wundervolle Heim als Anlaufpunkt nicht vorstellen.
»Mum? Ich bin’s.«
»In der Küche, Jules.«
»Nicht bei den Nachrichten?«
»Ich musste das Essen aus dem Rohr nehmen. Nichts Besonderes, aber dein Vater kommt heute spät, da hab ich für mich selbst eine Kleinigkeit gemacht.« Caroline Reagan betrachtete ihre zweiunddreißigjährige Tochter in der Tür, und es wurde ihr warm ums Herz. Zwar sah sie Julie regelmäßig, doch hin und wieder hielt sie wie jetzt inne und staunte, was für eine hübsche Frau Julie doch geworden war mit ihrem dichten welligen Haar, den leuchtend blauen Augen, dem entschlossenen Kinn und dem großen fröhlichen Mund. Aber da war noch etwas an ihr, was anderen, die ihr zum ersten Mal begegneten, hoffentlich ebenfalls auffallen würde. Sie strahlte Ruhe und Stärke und Warmherzigkeit aus, noch bevor sie ein Wort gesagt hatte.
»Bleibst du zum Essen?«
Julie kam mehrmals in der Woche bei ihren Eltern vorbei, die keinen großen Wert auf Förmlichkeiten legten. Sie wusste, dass ihre Mutter sich stets freute, wenn sie sie bekochen durfte. Im Kühlschrank fanden sich immer leckere Reste oder die Zutaten zu einem schnellen Gericht.
»Ich hatte es eigentlich nicht vor, aber es riecht so gut, und der Regen ist scheußlich. Wenn ich nicht störe, bleib ich ein bisschen.«
»Du störst doch nie, Liebes. Ich hatte
Weitere Kostenlose Bücher