Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
aber sonst weiß ich kaum noch was. Also hab ich gedacht, ich stöbere mal in Mutters alten Fotos, vielleicht hilft ja irgendetwas meinem Gedächtnis auf die Sprünge.«
»Das hier sieht wie ein Regenbaum aus«, sagte Julie, die mehrere Fotografien in die Hand genommen hatte und sie durchsah. »Ist das Gran? Piekfein herausgeputzt. Wer sind die anderen Leute? Sieht aus, als wären sie bei einem Pferderennen.«
»Das ist mein Vater, Roland, ich erkenne ihn an seinem Schnurrbart«, sagte Caroline.
»Hier in der Gruppe sind mehrere Einheimische. Da ein Inder und ein Chinese. Und hier … ist das …?« Julie kniff die Augen zusammen.
»Ja, das ist Bette. Mal wieder gegen jede Konvention – kein Hut, keine Handschuhe, nur ein Schirm zum Schutz vor der Sonne.«
»Sie ist sehr hübsch. Gran ist hochelegant, aber Bette wirkt viel natürlicher.«
»Sie hat dieselben Haare wie du«, bemerkte Caroline. »Mutter hatte ganz feines Haar, immer hochgesteckt oder mit Dauerwelle. Bette macht einen viel zwangloseren Eindruck, stimmt’s?«
»Ich hätte sie gerne gekannt, als sie noch jung waren. Das Einzige, was ich wirklich über Großtante Bette weiß, ist, dass sie irgendeine entsetzliche Schande über die Familie gebracht hat. Ich habe Gran nie gefragt, was sie eigentlich so vor den Kopf gestoßen hat. Weißt du es, Mum?«
»O ja. Laut meiner Mutter ist Bette durchgebrannt und hat einen Chinesen geheiratet«, antwortete Caroline. »So wie meine Mutter darüber sprach, klang es, als habe der Leibhaftige persönlich Besitz von ihrer Schwester ergriffen.«
»Das muss damals für ziemliche Aufregung gesorgt haben. Wann war das genau?«, fragte Julie.
»Oh, nach dem Krieg. Aber Näheres weiß ich auch nicht, denn meine Mutter war so erbost über das Verhalten ihrer Schwester und wegen der angeblichen Familienschande, dass ich immer einen großen Bogen um das Thema gemacht habe.«
Julie schaute weiter die Fotos durch. »Die sind verblüffend. Muss eine unglaubliche Zeit gewesen sein damals vor dem Krieg. All die Herren in weißen Anzügen und mit Panamahüten! Ganz britische Kolonialzeit, oder?«
»Pflanzer und Memsahibs, nehme ich an. Mir gefällt, wie fein sich alle gemacht haben«, sagte Caroline. »Es war ein ganz anderes Leben damals, und Mutter hat prima dazugepasst. Dieses vornehme Getue.« Sie betrachtete eingehend ein Foto, dann gab sie es Julie.
»Schau hier, Mutter und Bette, die beiden Schwestern. Siehst du auch, was ich sehe?«
Julie betrachtete das steife Porträt der beiden Frauen und sah dann Caroline an, die das Haar zu einem mädchenhaften Pferdeschwanz zurückgebunden, aber die Augenbrauen hochgezogen und die Lippen ein bisschen zusammengekniffen hatte, während sie das Kinn entschlossen vorschob. Und dann studierte sie das Gesicht der jüngeren Bette mit dem offenen Haar, den funkelnden Augen mit den dichten Wimpern, dem breiten lächelnden Mund und den kantigen Zügen. »Oh, mein Gott! Mein Ebenbild! Und du siehst aus wie Gran. Ich weiß noch, wie ähnlich ihr euch wart. Aber bis heute hatte ich noch nie ein Foto von Großtante Bette in der Hand.«
»Du kommst nach der hübscheren von den beiden«, sagte ihre Mutter.
»Mum, du siehst umwerfend aus. Ich hab in der Schule immer gedacht, meine Mutter ist die allerschönste«, erwiderte Julie und meinte es ernst.
»Danke, Schatz. Aber ich finde, dass Bette zu den Frauen gehört, die immer toll aussehen, ganz egal, ob sie perfekt geschminkt oder gerade erst aufgestanden sind, sogar noch krank oder müde machen sie was her. Mutter und ich waren ganz annehmbar, nachdem wir in den Schminkkasten gefallen sind, wie dein Vater es immer nennt.« Caroline lächelte ihre Tochter an. »Du dagegen siehst immer großartig aus, auch wenn du es gar nicht drauf anlegst.«
»Na, ich hoffe doch, dass ich ein bisschen besser rauskomme als gerade aus dem Bett gekrochen, wenn ich mir stundenlang Mühe gegeben habe«, meinte Julie und setzte dann hinzu: »Weißt du, Mum, ich glaube, du erinnerst dich an viel mehr, als du glaubst. Gran hat dir doch bestimmt jede Menge Geschichten über die alten Zeiten erzählt.«
»Ja, das hat sie. Ich kenne noch die kleinste Kleinigkeit aus ihrem Leben vor dem Krieg. Außerdem sind in diesem Schuhkarton Briefe an ihre Eltern, in denen sie ihr Leben als Ehefrau in Malaya schildert.«
»Also dann! Du könntest diesem Anthropologen eine Menge erzählen«, schlug Julie vor.
»Aber das sind doch ganz persönliche Sachen, so was
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