Das Leuchten des Himmels
besten so. Wenn Sie bereit sind?«
Ihr Mund war trocken geworden, fühlte sich an wie Sandpapier und schmeckte faulig. Sie hatte Angst zu schlucken, Angst, es würde einfach wieder hochkommen, sodass sie sich übergeben musste, ehe sie überhaupt angefangen hatten.
»Ich bin bereit.«
Er nahm den Hörer des Wandtelefons ab und murmelte etwas hinein. Dann griff er nach der Fernbedienung, richtete sie auf den Bildschirm und klickte.
Sie sah ihn nur von den Schultern aufwärts. Sie hatten ihm die Augen nicht geschlossen, war ihr erster entsetzter Gedanke. Hätten sie ihm denn nicht die Augen schließen müssen? Sie starrten, das ihr so wohlbekannte Eisblau von einem Film verschleiert. Sein Haar, der Schnurrbart und der Stoppelbart waren noch genauso dunkelschwarz, wie sie es in Erinnerung hatte.
Jetzt war kein Eis mehr vorhanden, das ihn versilberte und eine Schicht wie Glas über sein Gesicht legte. Ob er noch immer gefroren war, überlegte sie benommen. Innerlich? Wie lange dauerte es, bis Herz und Leber und Nieren auftauten, wenn ein Achtzig-Kilo-Mann tiefgefroren gewesen war?
War das von Belang?
Ihr Magen flatterte, und sie spürte ein Prickeln in den Spitzen ihrer Finger und Zehen.
»Können Sie den Toten identifizieren, Ms Galloway?«
»Ja.« Ein Echo hallte im Raum, in ihrem Kopf. Der Klang ihrer Stimme schien kein Ende zu nehmen und blechern und zart zurückzukommen. »Das ist Patrick Galloway. Das ist mein Vater.«
Coben schaltete den Bildschirm aus. »Es tut mir sehr Leid.«
»Ich bin noch nicht fertig. Schalten Sie wieder an.«
»Ms Galloway...«
»Schalten Sie wieder an.«
Nach kurzem Zögern gab Coben nach. »Ich sollte Sie warnen, Ms Galloway, die Medien...«
»Wegen der Medien bin ich nicht bange. Sie werden seinen Namen groß herausbringen, ob ich mir deswegen Gedanken mache oder nicht. Außerdem hätte ihm das eventuell sogar gefallen.«
Sie wollte ihn berühren, denn darauf hatte sie sich vorbereitet. Sie konnte nicht sagen, weshalb ihr dieser Kontakt so wichtig war – ihre Haut an seiner. Aber sie konnte warten, warten, bis sie mit seiner Hülle getan hatten, was nötig war. Wenn das geschehen war, würde sie ihm diese letzte Berührung geben, die Berührung, die sie vor so vielen Jahren aus kindischem Groll verweigert hatte.
»Gut. Sie können ausschalten.«
»Möchten Sie noch ein wenig hier bleiben? Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?«
»Nein. Ich möchte Informationen haben.« Aber ihre Beine verrieten sie, gaben unterhalb der Knie nach, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als auf einen Stuhl zu sinken. »Ich möchte wissen, was jetzt passiert, was Sie zur Ergreifung der Person, die ihn getötet hat, unternehmen werden.«
»Das sollten wir lieber an einem anderen Ort besprechen. Wenn Sie mit mir mitkommen wollen, um...«
Er brach ab, als Nate den Raum betrat. »Chief Burke.«
»Sergeant. Du solltest mit mir kommen, Meg. Jacob wartet oben.«
»Jacob?«
»Ja, er hat mich hergeflogen.« Ohne ihre Zustimmung abzuwarten, nahm Nate ihren Arm. Er zog sie hoch und führte sie aus dem Zimmer. »Ich werde Ms Galloway zur Polizeiwache bringen, Sergeant.«
Vor ihren Augen verschwamm alles. Nicht vor Tränen, sondern vor Entsetzen, wie ihr klar wurde. Ihren Vater tot auf diesem Bildschirm zu sehen, tot im Fernsehen, als wären sein Leben und dessen Ende zu einer Fernsehfolge geworden.
Zu einem Schocker, überlegte sie schaudernd. Ein schöner Schocker.
Also ließ sie sich von ihm führen und sagte nichts zu ihm, nichts zu Jacob, überhaupt nichts, bis sie ins Freie traten.
»Ich brauche frische Luft. Lasst mich eine Minute allein.« Sie entzog ihm ihren Arm und ging ein Stück weit. Der laute, geschäftige Stadtverkehr rauschte vorbei, und am Rande ihres Blickfelds tauchten schemenhaft Farben von Leuten auf, die auf dem Bürgersteig an ihr vorbeihasteten.
Sie spürte die Kälte auf ihren Wangen und das dünne Wintersonnenlicht, das durch diesen dicht verhangenen Himmel auf ihre entblößte Haut fiel.
Sie zog ihre Handschuhe an, setzte ihre Sonnenbrille auf und ging zurück.
»Hat Coben dich angerufen?«, fragte sie Nate.
»Ja, das hat er. Da du nicht zu erreichen warst, musst du erst ein paar Dinge erfahren, ehe wir wieder mit ihm sprechen.«
»Welche Dinge?«
»Dinge, die ich nicht auf diesem blöden Gehweg hier besprechen möchte. Ich hole den Wagen.«
»Wagen?«, sagte sie verwundert zu Jacob, als Nate davonging. »Er hat am Flughafen einen gemietet. Er wollte
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