Das Leuchten des Himmels
gegebenen Umständen entschied Nate sich dafür, seine beiden Gefangenen auf dem Schneepflug nach Hause bringen zu lassen. Den Elementen die Stirn bietend ging er nach draußen, um Benzin in den Generator zu füllen.
Nach einiger Überlegung beschloss er, eine der Liegen aus der Zelle zu holen und neben dem Funkgerät aufzuschlagen. Danach
ging er an Peach’s Schublade und suchte sich einen ihrer Taschenbuchromane aus, merkte sich aber genau, wo das Buch mit dem recht freizügigen Umschlag gelegen hatte, damit er es unbemerkt wieder zurücklegen konnte.
Er machte es sich mit dem Buch, seiner Cola und dem Brausen des Sturms bequem. Das Buch war besser als erwartet und entführte ihn auf die frischen grünen Weiden Irlands in den Tagen der Burgen und Burgverliese. Es war mit viel Magie und Fantasie gewürzt, doch er verfolgte die Abenteuer von Moira der Zauberin und Prinz Liam mit ziemlichem Interesse.
Die erste Liebesszene ließ ihn innehalten, denn er musste an die mütterliche Peach denken, wie sie sich zwischen Telefonaten und dem Verteilen klebriger Zimtkrapfen die Bettgeschichten ihrer Helden zu Gemüte führte. Aber er hatte Schlaf nachzuholen. Und so schlief er bei voller Beleuchtung, das Buch offen auf der Brust, ein.
Die Zauberin hatte Megs Gesicht. Ihr pechschwarzes Haar wirbelte flügelgleich durch die Luft. Sie stand auf einem weißen Hügel, und strahlendes Sonnenlicht strömte durch das dünne rote Kleid, das sie trug.
Sie hob ihre Arme und ließ das Kleid von ihren Schultern gleiten, sodass es über ihren Körper nach unten rutschte. Nackt kam sie auf ihn zu. Ihre Augen waren eisblau, als sie die Arme öffnete und ihn umfing.
Heiß spürte er ihre Lippen auf seinen. Hungrig. Er lag unter ihr, war von ihr eingehüllt. Als sie sich aufbäumte, rauschte ein stürmischer Wind durch ihr Haar. Als sie zurücksank, hätte die Hitze in ihr ihn fast versengt.
»Worüber bist du so traurig?«
Plötzlich mischte sich Schmerz in die Lust – abrupt, glühend. Er fauchte dagegen an, und sein Körper spannte sich an. Die brennende Beleidigung von Kugeln im Fleisch.
Aber sie lächelte, lächelte nur. »Du lebst doch, nicht wahr?« Sie hob eine blutverschmierte Hand. »Wenn du blutest, lebst du.«
»Ich bin getroffen. Jesus, mich hat’s erwischt.«
»Und lebst«, sagte sie, als sein Blut ihm von ihrer Hand ins Gesicht tropfte.
Er war in der Passage, roch Blut und Cordit. Roch Unrat und Tod. Regenfeuchte Luft. Kalt, kalt für April. Kalt und feucht und dunkel. Alles verschwamm miteinander, die Schreie, die Schüsse, der Schmerz, als die Kugel sich ihm ins Bein grub.
Er war zurückgefallen, und Jack war als Erster hineingegangen.
Er hätte nicht dort sein sollen. Was zum Teufel machten sie da?
Weitere Schüsse, Licht, das im Dunkeln aufflammt. Dumpfes Dröhnen. Etwa Stahl, der Fleisch traf? Dieser betäubende, obszöne Schmerz in der Seite, der ihn erneut zu Boden warf. Also hatte er kriechen müssen, kroch über den feuchten Beton, dorthin wo sein Partner, sein Freund im Sterben lag.
Aber dieses Mal drehte Jack seinen Kopf, und seine Augen waren rot, als ihm das Blut aus der Brust sprudelte. »Du hast mich getötet. Du blöder Hurensohn. Wenn jemand tot sein sollte, dann du. Jetzt sieh zu, ob du damit leben kannst.«
Er wachte in kalten Schweiß gebadet auf, der Traum von seinem Partner hallte noch in seinem Kopf nach. Nate richtete sich auf, sodass er seitlich auf der Liege saß. Er ließ seinen Kopf in die Hände fallen.
Bis jetzt, überlegte er, lebte er damit mehr schlecht als recht.
Er raffte sich auf und trug die Liege zurück in die Zelle. Er dachte an die Tabletten, die er in seiner Schreibtischschublade verwahrte, ging aber an seinem Büro vorbei und zwang sich, nach draußen zu gehen, um das restliche Benzin in den Generator zu kippen.
Erst beim Hineingehen merkte er, dass es zu schneien aufgehört hatte.
Die Luft war ganz ruhig und absolut still. Ein schwacher Streifen Mondlicht sprenkelte die Hügel und Seen aus Schnee und verlieh dem Weiß einen blauen Schimmer. Sein Atem dampfte, und er hatte das Bild eines Käfers vor sich, der in einem Kristall anstatt in Bernstein eingefangen war.
Der Sturm war vorbei, und er war noch am Leben.
Sieh zu, ob du damit leben kannst . Ja, das würde er. Er würde sehen, ob er damit leben konnte.
Drinnen kochte er sich Kaffee und schaltete das Radio an. Eine
schläfrige Stimme – die sich als Mitch Dauber, die Stimme von Lunacy vorstellte
Weitere Kostenlose Bücher